Deutscher Bundestag entzieht Scholz das Vertrauen
Es ist eine deutsche Eigenart, dass eine Regierung und ein Kanzler nicht einfach zurücktreten kann. Dafür braucht es die Vertrauensfrage, eine Abstimmung über den Rückhalt des Kanzlers. Sie ist ein Erbe der Weimarer Republik, ein Sicherheitsmechanismus, um eine Regierung nicht zum Spielball radikaler Kräfte werden zu lassen.
Dass Olaf Scholz (SPD) die Frage am Montag stellte und die erwünschte Niederlage einfuhr, ist darum in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Es machte auch anschaulich, wie historisch dieser Tag war; denn in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik mussten nur vier Kanzler den Bundestag um ihre Abwahl bitten.
Darum zeigte der Tag wie kaum ein anderer in der Ampel-Geschichte, wie sehr dem SPD-Kanzler seine Regierung entglitten war – und wie unbeliebt Scholz mittlerweile ist.
SPD stimmte nicht geschlossen für Scholz
207 Stimmen waren es schlussendlich, die für Scholz stimmten; 394 entzogen ihm das Vertrauen. Damit hatte Scholz die Niederlage erreicht, die er wollte.
Allein, ob seine SPD geschlossen hinter ihm stand, so wie das akkordiert war, war nach der Abstimmung unklar. Sie hat zwar genau 207 Sitze, aber auch aus der AfD-Fraktion wollten ihn einige im Amt behalten, hatte es im Vorfeld geheißen – wohl aus Kalkül, um den Akt zu stören.
Es war die große Absurdität dieses Nachmittags: Die Grünen um Vizekanzler Robert Habeck enthielten sich, um der rechtsextremen AfD nicht zu ermöglichen, Scholz mit ihren Stimmen im Amt zu halten - und damit den geplanten Neuwahltermin am 23. Februar nach hinten zu verschieben.
Scholz selbst kommentierte das Ergebnis ohnehin nicht. Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) es um kurz nach halb fünf verlas – „die Sitzung hat hier ihr Ende, die Ampel-Regierung auch“, sagte sie – war Scholz schon fast am Weg zum Bundespräsident, der die Neuwahl in die Wege leiten sollte.
Wahlkampfauftakt durch den scheidenden Kanzler
Der Wahlkampf hatte allerdings schon vor dem Votum begonnen, denn die Auftritte der Fraktionen zuvor gerieten zu einem Reigen der gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Scholz selbst hatte sich auf die FDP eingeschossen, die bekanntlich die Regierung gesprengt hatte; das brachte ihm aber nicht nur Applaus. Als er in Richtung Christian Lindner sagte, es brauche „sittliche Reife“, für eine Regierung, wurde er breitflächig ausgelacht, wohl nicht nur von der FDP.
Der scheidende Kanzler war dementsprechend auch Zielscheibe der meisten anderen.
"So, wie Sie Christian Lindner hier heute adressiert haben, ist das nicht nur respektlos, sondern eine blanke Unverschämtheit", polterte etwa CDU-Chef Friedrich Merz, zumindest in Umfragen der gesetzte nächste Kanzler, warf ihm vor, Deutschland zu „blamieren“; es sei „zum Fremdschämen“, wie Scholz sich in der Europäischen Union bewege.
AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht werfen Scholz traditionell immer Unvermögen vor, das taten sie auch am Montag. Allein die Grünen gingen nicht allzu hart mit ihm ins Gericht – Vizekanzler Robert Habeck arbeitete sich lieber an der Union ab und sprach von deren „Selbstverliebtheit“ und „Betriebsblindheit“.
Das ist überraschend, weil Union und Grüne mit einer Koalition liebäugeln; das ist rechnerisch derzeit zwar noch unmöglich, dennoch träumen manche davon.
Sprengmeister Lindner im Mittelpunkt
FPD-Chef Christian Lindner, der ja um den Einzug in den nächsten Bundestag bangen muss, attackierte nur, ganz wie gewohnt, Olaf Scholz. Dessen Ideen – Stichwort Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel – verglich er gewohnt scharfzüngig mit den Zuckerln, die Prinz Karneval verteilt.
Ob ihn das über die Fünf-Prozent-Hürde rettet, ist mehr als unsicher. Aber bis zur Wahl kann sich bekanntlich noch alles drehen. Darauf hofft auch Scholz, schließlich hat die SPD die Wahl 2021 auch noch drehen können.
Derzeit ließen aber die persönlichen Angriffe auf Scholz eher einen Schluss zu: Niemand rechnet damit, dass er nach der Wahl noch bei Koalitionsverhandlungen dabei sein wird.
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