Budapests Vize-Bürgermeisterin: „Orbán ist der EU immer einen Schritt voraus“
von Sven Beck
Sie ist seit 24 Jahren Mitglied der sozialdemokratischen MSZP – und damit sozusagen der Gegenentwurf zu Ungarns Premier Viktor Orbán. Seit zwei Jahren ist Kata Tüttő Vizebürgermeisterin von Budapest (Bürgermeister Gergely Karácsony von der Partei „Dialog“ will kommendes Jahr bei den Parlamentswahlen Orbán herausfordern). Und als solche nimmt sich die 41-Jährige kein Blatt vor den Mund.
KURIER: Viktor Orbán hatte immer Feindbilder: Migranten oder die EU. Warum ist es jetzt die LGBTQ-Bewegung der Homo-, Bi- und Transsexuellen?
Kata Tüttő: Orbáns „Story“ ist, dass er Ungarns christliche Werte verteidigt. Wenn in Europa irgendetwas Schlimmes geschieht, beispielsweise ein Terroranschlag, wird das auf allen Frontseiten der von (der Regierungspartei) Fidesz kontrollierten Medien als „Mainstream“ in Europa dargestellt. Nach dem Motto: „So weit ist es bereits gekommen.“
Aus der EU macht er etwas Fremdes, das den ungarischen Kindern „LGBTQ-Propaganda“ aufzwingen möchte, und davor „beschützt“ er die ungarische Gesellschaft.
Er hat nicht einen klaren Feind, sondern „verteidigt“ die Ungarn vor Fremdem. Er wird auch nicht „Schwule und Lesben“ sagen, sondern „LGBTQ, Transgender und Intersexualität“, weil das den Ungarn, besonders den alten Leuten, noch fremder ist.
Hätte die EU Orbán schon länger in die Schranken weisen sollen, etwa mit schärferen Sanktionen?
Ich weiß nicht, was die EU da tun könnte. Orbán ist ihr immer einen Schritt voraus. Diese Union wurde nicht darauf ausgerichtet, dass es ein Land gibt, das alle Entscheidungen in ihr blockiert.
Was wir tun müssen, ist, nach der Orbán-Ära Reformen zu beschließen, die verhindern, dass so etwas noch einmal geschieht. Jeden Schlag, den Orbán im Moment von der EU bekommt, gibt er nur härter zurück.
Die EU kann nicht tatenlos zusehen. Wie soll sie reagieren?
Wir als ungarische Opposition wollen nicht, dass die ungarische Gesellschaft verliert, deswegen sind wir gegen Kürzungen der EU-Gelder. Es ist ja nicht die Schuld der Budapester, der Pecser oder der Miskoicer, was die Zentralregierung anstellt.
Darum bauen wir eine Initiative auf, die eine Umstrukturierung der EU-Gelder zum Ziel hat, sodass sie direkt an die Stadtregierungen gehen. So helfen sie wenigstens uns in unserem Kampf, die Demokratie zu erhalten.
Was können Sie als Lokal- und Oppositionspolitikerin derzeit tun?
Fidesz entmachtet momentan lokale Regierungen wie uns in Budapest. Alle unsere Steuereinnahmen werden zentralisiert, sodass uns nichts davon zur Verfügung steht. Das Einzige, was wir in Budapest noch zahlen können, ist der öffentliche Nahverkehr, für alles andere nehmen wir Schulden auf.
Fidesz beendet das System der lokalen Regierungen im ganzen Land und hebt damit einen wichtigen Teil der Demokratie auf.
Also gibt es keinen anderen Weg, als Fidesz abzuwählen?
Das wissen alle Oppositionsparteien. Was uns zusammenschweißt, ist die Demokratie, und über alles andere reden wir nach den Wahlen. Es gibt nur diesen Weg. Fidesz macht die Regeln, wie sie es will.
Manchmal fühlt es sich an, als hätte sie Atombomben und wir nur Pfeil und Bogen. Deswegen müssen wir als Opposition zusammenhalten.
Jetzt koaliert sogar die rechtsradikale Jobbik-Partei mit verschiedenen Linken und Liberalen, nur um Orbán loszuwerden. Kann das klappen?
Die Rechtsextremisten, die die Jobbik-Partei noch vor einigen Jahren wählten, wählen inzwischen alle Fidesz. Jobbik hat sich verändert, ohne sie wäre die Demokratie jetzt schon am Ende.
Einige Ungarn sagen, sie wählen vielleicht 2022 deswegen nicht, weil sie weder Orbán noch eine zersplitterte Gegenkoalition in der Regierung möchten. Was sagen Sie dazu?
Ich hoffe, wir können diese Menschen überzeugen. Wir haben unseren Top-Kandidaten und Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony durch sogenannte Erstwahlen ausgesucht, und das hat wirklich Partizipation und Diskussionen gebracht. Das sind Dinge, die in der ungarischen Gesellschaft fehlen.
Einen demokratischen Diskurs gibt es bei Fidesz nicht. Wir wollen möglichst viele Menschen dort hinbringen. Wir wollen Bürger in unsere Entscheidungen involvieren, wir sind da draußen, wir wollen kommunizieren, und dann wollen wir möglichst viele überzeugen: Komm mit uns und versuch’, dieses Regime zu ändern!
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