Bruno Kreisky: Aufbruch ins moderne Österreich

KURIER-Serie: Geschichte zum Anschauen
Bruno Kreisky: Aufbruch ins moderne Österreich

Mit einem hatte Friedrich Peter in dieser Wahlnacht am 1. März 1970 nicht mehr gerechnet, einem Anruf aus der SPÖ-Parteizentrale. Ob der FPÖ-Chef nicht gleich auf einen Sprung in die SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße vorbeikommen könne. Peter kam, wurde von Kreisky in Filzpatschen empfangen. Wahrscheinlich ist in dieser Nacht zum ersten Mal jener Plan zumindest angedacht worden, der Österreich politisch von Grund auf verändern sollte. Der ehemalige SS-Mann Peter, der an Kriegsverbrechen an der Ostfront beteiligt war, signalisierte dem jüdischen Sozialisten Kreisky, der vor den Nazis ins Exil geflohen war, seine Unterstützung für eine Minderheitsregierung – im Austausch für eine FPÖ-freundliche Reform des Wahlrechts.

Hasardspiel

Ein gewagtes Hasardspiel, das seit 1945 noch keine Partei gewagt hatte. Schließlich, nach Wochen langwierigen Tauziehens Kreiskys mit der ÖVP, sollte Bundespräsident Franz Jonas dazu seinen Sanktus geben. Das lag wohl vor allem an seiner engen persönlichen Beziehung zu Kreisky: Gemeinsam waren sie einst, 1936, vor einem Gericht des faschistischen Ständestaates gestanden, gemeinsam hatte ihnen die Todesstrafe wegen Hochverrats gedroht.

Weit überraschender als Jonas’ Zustimmung war allerdings, dass jemand wie Kreisky diesen Plan überhaupt nur andachte. Der ehemalige Außenminister war eigentlich bis dahin ein überzeugter Anhänger der Großen Koalition gewesen. In dieser Konstellation war Kreisky politisch groß geworden. Sie gab ihm den Rückhalt für seine weitsichtigen und oft spektakulären Auftritte auf der weltpolitischen Bühne. Als die SPÖ 1966 dank ihres halsstarrigen linken Flügels in ein Wahldebakel geschlittert war, war es Kreisky, der bis zuletzt an der Koalition mit der ÖVP festhalten wollte. Dass er sich schließlich auf dem Parteitag im Jahr darauf gegen diesen linken Flügel durchsetzen konnte, war bis zuletzt unsicher. Es kam sogar zu einer Kampfabstimmung, die Kreisky denkbar knapp für sich entschied.

Einmal SPÖ-Chef, setzte Kreisky alles auf eine Modernisierung und Öffnung der Partei. Auf einmal wurden auch bürgerliche Experten konsultiert, wenn es um Reformpläne ging.

68er-Generation

Doch so offen wie für bürgerliche Wirtschaftskonzepte war Kreisky auch für die gesellschaftliche Auf- und Umbruchstimmung der späten Sechzigerjahre. Schon in den Plänen für die grundlegende Reform des Bildungs- und Justizsystems, die Kreiskys Regierungsjahre später prägen sollten, steckte viel vom Geist der 68er-Generation. "Alle sozialen und internationalen Trends" hätten damals für Kreisky gesprochen, urteilt der Historiker Oliver Rathkolb, alle "internen politischen Strukturbedingungen" allerdings gegen ihn. Mit beachtlichem politischen Geschick überwindet Kreisky diese Widerstände in der Partei, versöhnt sich mit seinen Gegnern, etwa mit dem legendären Gewerkschaftschef Anton Benya.

Die Wahl 1970 wird zum Triumph für Kreisky und seinen neuen Kurs für die Partei. Erstmals in der Zweiten Republik liegt die SPÖ vor der ÖVP, die unter Josef Klaus abstürzt. Kreisky bleibt – zumindest nach außen – überzeugter Anhänger der Großen Koalition. Er verhandelt mit der ÖVP, mehr als einen Monat lang. Doch die Chance auf die große politische Wende ist zuletzt zu verlockend. Kreisky ergreift sie, und aus dem Hasardspiel wird eines der wichtigsten Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte: Die Ära Kreisky.

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