Briten-EU-Verhandlungen in der Sackgasse: Feuerwehraktion der Chefs

Britischer Premier Boris Johnson
Die Zeit drängt: Der britische Premier Johnson und EU-Kommissionschefin von der Leyen sollen heute die feststeckenden Gespräche zwischen London und Brüssel neu anschieben.

Wenn der Hut brennt, müssen die Chefs ran: Seit viereinhalb Monaten ist das Vereinigte Königreich kein Mitglied der EU mehr. Und seit fast genauso langer Zeit wird nun verhandelt, wie die künftige Kooperation zwischen der Union und einem ihrer ehemals wichtigsten Mitglieder ausehen soll.

Doch die Gespräche stecken fest. Am Freitag machte die Regierung in London zudem klar, dass Großbritannien per Jahresende endgültig aus der EU-Zollunion und dem EU-Binnenmarkt aussteigen wird. Die bis dahin vereinbarte Übergangsphase nach dem Brexit soll also nicht verlängert werden.

Damit lebt das Schreckensszenario eines No-Deals wieder auf. Die Zeit drängt: Denn nun haben London und Brüssel nur noch bis zum 31. Oktober Zeit, um sich auf ein Abkommen zu einigen, nach welchen gemeinsamen Reglen künftig die Zusammenarbeit laufen soll.

In einer Art Feuerwehraktion werden sich deshalb heute Nachmittag EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel, EU-Parlamentspräsident David Sassoli und der britische Premier Boris Johnson zu einer Videokonferenz zusammensetzen.

Briten-EU-Verhandlungen in der Sackgasse: Feuerwehraktion der Chefs

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen

Ihr gemeinsames Auftreten soll den Verhandlungen einen neuen Schub geben. Und vereinbart wird dabei auch: Eine Sommerpause wird es nicht geben, über Juli und August hinweg soll intensiv weiter verhandelt werden. Mit "einer Mischung aus  formellen Verhandlungsrunden und kleineren Gruppensitzungen sowohl in London als auch in Brüssel" soll doch noch ein Durchbruch erzielt werden.

Woran spießte es sich sich bisher besonders?
Die EU bietet Großbritannien weitgehend ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Dafür verlangt Brüssel im Gegenzug, dass Großbritannien auch weiter Sozial-, Umwelt- oder Verbraucherstandards der EU akzeptiert.

Andernfalls sonst könnten britische Firmen einen deutlichen Wettbewerbsvorteil erlangen und europäische Anbieter unterlaufen. London lehnt diese EU-Forderungen aber kategorisch ab.

Zudem macht die EU macht ein Handelsabkommen vom Zugang zu britischen Fischgründen abhängig. Dabei geht es insbesondere um die Fanginteressen von Mitgliedstaaten wie Frankreich, Dänemark, Spanien oder Belgien.

Briten-EU-Verhandlungen in der Sackgasse: Feuerwehraktion der Chefs

Der britische Premier Boris Johnson: Großer Streit mit der EU um die Fischereirechte

Für die Brexit-Hardliner in Großbritannien aber  hat diese Frage hohen Symbolwert. Sie wollen die volle Kontrolle über ihre Fischgründe zurück. London will deshalb jährlich Quoten für hunderte Fischarten neu aushandeln. Dies lehnt wiederum die EU als nicht praktikabel ab.

Die Uhr tickt

Eine Lösung der Verhandlungsknoten müsste aber bis 31. Oktober auf dem Tisch liegen. Nur dann bleibt ausreichend Zeit, dass auch die nationalen Parlament der EU, das EU-Parlament und jenes in London das Abkommen noch bis Jahresende annehmen.

Findet sich aber keine Lösung, trennen sich Insel und Kontinent ohne gemeinsame Regeln - also ohne einen Deal (No-Deal).

Die Wirtschaftsverbände in Brüssel sehen dieses aufziehende Szenario mit "extremer Besorgnis. Die Covid-19-Krise ist schon verantwortlich für einen unerwarteten Wirtschaftsein bruch von durchschnittlich zehn Prozent in Europa", warnt der Industrie-Lobbyverband BusinessEurope. "Das Letzte, was wir jetzt noch brauchen können, ist eine zusätzliche Störung, während Unternehmen und Bürger darum kämpfen, aus dieser Krise rauszukommen."

Sowohl von London als auch von Brüssel fordert der Industrie-Lobbyverband, neue Impulse in die Gespräche einzubringen.

Ein erstes Anzeichen dafür kam bereits aus London: So könnte die britische Regierung bereit sein, einige Zölle zu akzeptieren, wenn sie die europäischen Standards nicht vollständig anwenden müsste.

Die Vereinbarung für die künftige Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU aber würde weit über reine Handelsbeziehungen hinaus gehen. Sie würde auch Strafverfolgung und Strafjustiz, Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung einschließen.

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