Brexit: „May muss ein Endspiel aufbauen“

Brexit: „May muss ein Endspiel aufbauen“
Wie ein Spieltheoretiker das Chaos des britischen Ausstiegs aus der EU auflösen würde

„Aufs Ganze gehen“, das ist der Weg, den die britische Premierministerin Theresa May einschlagen muss, wenn sie Großbritannien und der EU einen harten Brexit ersparen will. So sieht es der deutsche Spieltheoretiker Marcus Schreiber.

Im KURIER-Interview erläutert der Ökonom, warum ohne maximalen Druck auf die Abgeordneten nun gar nichts mehr gehen wird.

KURIER: Könnte mehr Entgegenkommen von Seiten der EU der britischen Premierministerin nicht doch helfen?

Marcus Schreiber: Auf europäischer Seite denkt man, dass die Hardliner bei den Tories nie zufrieden sein werden. Also wird man nicht noch ein Stück nachgeben, zumal man sowieso überzeugt ist, dass sich an Mays Problemen nichts ändern wird.

Brexit: „May muss ein Endspiel aufbauen“

Spieltheoretiker und Ökonom Marcus Schreiber

Was würden Sie Theresa May nun raten?

Nehmen wir das Beispiel eines Bankräubers: Der hat die Vision, eine Bank auszurauben und dann mit dem Geld auf den Bahamas die Caipirinhas zu genießen. Dem entspricht die Vision der Brexiteers, die meinen, alles wird auch nach einem Hard Brexit ganz wunderbar.

Jetzt steht aber vor der Bank schon die Polizei und ist bereit zu stürmen. Zuerst schickt man den Polizeipsychologen vor. In der jetzigen Lage wäre das May, die die Brexiteers vor die Wahl stellen muss: eine schlechte Wahl treffen, also aufgeben, und ein paar Jahre ins Gefängnis gehen oder katastrophale Erstürmung.

May muss jetzt bereit sein, gegenüber der eigenen Hardcore-Fraktion aufs Ganze zu gehen. Sie muss den Brexiteers klarmachen: „Die Caipirinhas sind weg.“

Aber sie sagte doch: „Wenn nicht mein Deal, dann gar kein Deal“. Es gab also eine Wahl.

„Wenn-dann“-Szenarien sind immer problematisch. Das ist wie bei einer guten Ehe. Da setzt man nicht alles aufs Spiel. Man sagt nicht: „Wenn du das nichts machst, lasse ich mich scheiden.“ Im Einzelfall kann es helfen, aber es untergräbt die Partnerschaft.

In diesem Fall muss May aber, weil es um alles geht, zu diesem "wenn-dann"-Mittel greifen, um Verbindlichkeit für ihre Aussagen zu schaffen. Also "liebe Brexiteers, unterstützt einen vernünftigen Brexit, weil sonst die Mehrheit der Tory-Fraktion mit anderen für ein neues Referendum stimmt."

Und wo liegt der Kompromiss?

May kann sich mit den Loyalisten in der eigenen Fraktion verbünden, die den harten Brexit nicht wollen. Sie kann auch auf die Liberalen und die Scottish Nationalist Party zugehen und auf die Labour-Abgeordneten. Die ziehen ja auch nicht alle an einem Strang mit Labour-Chef Corbyn und wollen keinen harten Brexit riskieren.

Brexit-Tag wäre schon in 70 Tagen: Das erhöht doch den Druck massiv.

Der Zeitdruck ist gut, daher bewegt sich jetzt auch etwas. Aber die Frage bleibt trotzdem. Wie kriegt May das hin? Sie muss Verbindlichkeit schaffen, also so glaubwürdig sein, dass sie den Eindruck vermittelt, sie hätte die strategische Oberhand. Bisher aber ging es nie um alles. Bisher hat sie das nicht gemacht.

Wäre es sinnvoll, die Abgeordneten zu fragen: Wollt ihr einen harten Brexit, ein zweites Referendum, eine Verlängerung?

Was soll das bringen? Da sitzt May gar nicht mehr im Führersitz. Im Augenblick taktieren alle Abgeordneten, weil sie davon ausgehen, dass es noch einmal eine Runde geben wird und man noch ein bisschen mehr herausholen kann. Labour taktiert, weil sie Neuwahlen wollen. Und auch nach dem zurückgewiesenen Misstrauensantrag glaubt Labour-Chef Corbyn immer noch, dass er sein Spiel spielen kann.

Brexit: „May muss ein Endspiel aufbauen“

Labour-Chef Corbyn

Was also könnte die britische Premierministerin tun?

May muss ein Endspiel aufbauen, bei dem auf jedem der Druck lastet, sich entscheiden zu müssen: entweder links oder rechts. Sie muss den Hardcore-Brexiteers klarmachen, dass man in die Katastrophe hineingeht. Möglicherweise sind die auch nicht zugänglich und nehmen alles in Kauf.

Aber dann muss May bereit sein, auf die Gegenseite zu bauen. Bei der Abstimmung im Parlament zum Deal hatte sie 202 Ja-Stimmen, sie benötigt aber 320. Wie also bekommt sie die restlichen 118 Stimmen?

In der Spieltheorie sagt ein guter Spieler nicht: „Ich will.“ Sondern er fragt: „Was muss ich tun, damit der andere mitmacht?“ Sei es mit Angeboten oder mit Drohungen. May kann auf Labour zugehen und zudem ihren eigenen Leuten drohen: Wenn ihr nicht mitmacht, dann räche ich mich mit Neuwahlen.

Kennen Sie die Geschichte vom Konquistador Hernan Cortez? Als er in Mexiko landete, ließ er alle Schiffe verbrennen. Die Botschaft an seine Leute war: gewinnen oder untergehen. Zurücksegeln gibt es nicht.

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