Brexit: Kampf um jeden Mann im Unterhaus

Brexit: Kampf um jeden Mann im Unterhaus
Der Aufstand der EU-Gegner gegen Theresa May läuft, doch die Premierministerin gewinnt auch starke Verbündete.

„Chef-Einpeitscher“ ist keine vertrauenerweckende Berufsbezeichnung, aber es beschreibt eindrücklich, was Julian Smith in diesen Tagen so treibt. Der Schotte führt Einzelgespräche mit jedem der 315 Abgeordneten der konservativen Partei im Londoner Unterhaus – und dabei verwendet er erfahrungsgemäß auch unsanfte Techniken. Klubzwang, auf den die Fraktionschefs österreichischer Parteien bei ihren Abgeordneten setzen können, existiert in Großbritannien nicht.

Also müssen die Parlamentarier Mann für Mann überzeugt werden. Und dafür, wissen politische Insider in London, greift der Einpeitscher manchmal auch in den Giftschrank mit den persönlichen Verfehlungen jedes Abgeordneten.

Harte Gegner

Viel Zeit bleibt Smith und seiner Parteichefin, Premierministerin Theresa May nicht. Am 3. Dezember wird im Unterhaus über den Brexit-Vertrag abgestimmt, und der Ausgang ist alles andere als sicher. Klar ist, die Stimmen der eigenen Partei reichen auf keinen Fall für eine Mehrheit. Der Koalitionspartner, die nordirische DUP, ist ohnehin gegen das Abkommen. Daher müssen die Konservativen zumindest vereinzelt Abgeordnete der Labour-Opposition gewinnen. Möglich ist das, da auch Labour gespalten ist, und sich ein Teil der Fraktion mit Mays jetzt ausverhandeltem „sanftem“ Brexit anfreunden könnte.

Weiter Bangen um "Brexit"-Vertrag

Misstrauensvotum

Doch noch vor der Abstimmung über den Brexit, wird ein für May noch wichtigeres Spiel entschieden. Die Brexiteers, also die harten EU-Gegner rund um den Abgeordneten Jacob Rees-Mogg, sammeln Stimmen für ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin. 48 Abgeordnete müssen sich dafür zusammenrotten. Wie viele es derzeit sind, blieb bis zuletzt geheim. Im Umfeld von Mogg war man zuversichtlich, genügend Abgeordnete hinter sich zu haben.

Überraschend Rückendeckung bekam Theresa May von einem der prominentesten Vertreter des Brexit. Michael Gove, der schon vor dem Referendum für den EU-Austritt geworben hatte, stellt sich nun hinter die Premierministerin und ihr Abkommen. Gove der offensichtlich unmittelbar vor dem Rücktritt als Umweltminister gestanden war, machte am Freitag kehrt. Ein Abgang wäre ein „nihilistischer Akt“ gewesen: „Nur weil wir die Premierministerin stürzen, bekommen wir kein besseres Brexit-Abkommen.“

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Labour-Chef Corbyn muss seine eigene Partei zusammenhalten

 

Keine Verbesserungen

„Derzeit ist jeglicher Ausgang des Parlamentsvotums möglich“, sagt auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Als Regierungschef des amtierenden EU-Vorsitzlandes war Kurz am Freitag zu einem Blitzbesuch nach Brüssel geflogen, um beim Chef-Brexit-Verhandler der EU-Kommission die letzten Informationen einzuholen. „Wir stehen an einem kritischen Punkt, und ich kann nur warnen: Ein harter Brexit sollte unbedingt vermieden werden.“

Dass der Scheidungsvertrag, sollte er im britischen Parlament durchfallen, nachverhandelt werden könnte, wird in Brüssel ausgeschlossen. Nicht mehr kategorisch zurückgewiesen wird in EU-Kreisen hinter vorgehaltener Hand hingegen die Möglichkeit: Das Austrittsdatum der Briten – derzeit 29. März – könnte verschoben werden.

"Warum eigentlich, Herr Eichtinger?"

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