Brasilien: Volle Strände und Corona-Apokalypse
Die Sonne knallt vom Himmel, der Sand am Copacabana-Strand ist an diesem Jänner-Nachmittag noch heißer als ohnehin im brasilianischen Hochsommer. Das Thermometer an der Avenida Atlantica zeigt 34 Grad. Ideale Bedingungen also für einen Ausflug ans Meer.
Wäre da nicht die Corona-Pandemie. Doch trotz der wieder enorm ansteigenden Infektionszahlen in Brasilien sind die Strände voll. Es ist Hochsaison im größten lateinamerikanischen Land.
Was am Anfang der Pandemie noch verboten war, ist inzwischen kein Thema mehr: Verwaiste Strände gehören der Vergangenheit an. Die Politik traut sich nicht, den Bürgern ihre Sommerferien zu nehmen, nachdem bereits die Karnevalssaison gestrichen wurde, die Fußballstadien leer sind und die gigantische Silvesterparty abgesagt wurde.
Eine, die am Strand die Sommersonne genießt, ist Jaqueline Barros. Die 50-Jährige ist von Beruf Leiterin eines Kurses für Schönheitsästhetik. „Ich bin nach Rio gekommen, um hier die Ferien zu verbringen, aber auch um meine Verwandten zu besuchen.“ Barros stammt ausgerechnet aus Manaus, der aktuellen brasilianischen Hochburg des Corona-Infektionsgeschehens.
Dass sie nun in Rio ist, findet sie in Ordnung. „In meinem Bundesstaat ist die Lage gerade besonders schlimm. Die Menschen sind trotz Pandemie rausgegangen und haben Partys und Feste gefeiert. Hier ist das besser. Hier habe ich keine Angst, kann Abstand halten.“
Alkohol verringert Abstand
Tatsächlich ist die Familie unter freiem Himmel, hält zu Nachbarn Sicherheitsabstand. Auf den großen Stränden ist das möglich. Doch dort, wo Bier fließt, die Musik aus den Lautsprechern dröhnt, geht die Disziplin mit der Zeit verloren. Irgendwann im Laufe des Tages ist es so wie früher, werden alle Hygienemaßnahmen über Bord geworfen. Die Konsequenzen zeigt die Statistik: Der Bundesstaat Rio de Janeiro zählt zu den Staaten mit stark ansteigenden Infektionszahlen.
Was in Europa inmitten der Corona-Pandemie die umstrittenen Ausflüge in die Skigebiete sind, ist für die Brasilianer der Strandbesuch. Und dennoch: Erst vor ein paar Tagen dröhnte entlang der Strandpromenade der Lärm von massiven Protesten: Die Corona-Politik des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro treibt mehr und mehr Menschen auf die Straßen. Hatte Bolsonaro in den ersten Monaten der Pandemie mit seiner Forderung nach einem lockeren Kurs für die Wirtschaft noch viele Fürsprecher im Volk, kippt inzwischen die Stimmung. Grund ist die katastrophale Lage im Norden des Landes. In den Bundesstaaten Amazonas und Rondonia ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen.
Mit Partys in die Katastrophe
Das ist eine Folge davon, dass etwa in der Amazonas-Metropole Manaus der Lockdown zu früh aufgehoben wurde. Bolsonaro begrüßte das ausdrücklich. Die Menschen strömten wieder zusammen, holten im Partymonat Dezember das nach, was ihnen lange verboten war. Nun sind die Konsequenzen schrecklich. In den Krankenhäusern fehlen Sauerstoff zur Beatmung der Patienten, gesundes Personal, Betten. Aus einigen Hospitälern wird berichtet, dass Pflegepersonal zur Beatmung mit Handpumpen greifen müsse.
„Wir sind in einer fast aussichtslosen Lage“, sagt der Erzbischof von Manaus, Dom Leonardo Steiner, und bittet in einem Spendenaufruf des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat um internationale Unterstützung: „Wir Bischöfe in Amazonien bitten eindringlich: Helfen Sie uns mit Sauerstoff. Die Menschen sollen nicht sterben müssen, weil es an Betten und Sauerstoff fehlt.“
Virus verharmlost
„Das Ausmaß der Krise ist zum Teil hausgemacht. Das katastrophale Corona-Krisenmanagement der Regierung Bolsonaro, der von Beginn an die Gefährlichkeit des Corona-Virus verharmloste und empfohlene Hygienestandards verspottete, findet nun seine Fortsetzung im Chaos um die Beschaffung von Impfstoff“, sagt Klemens Paffhausen, Brasilien-Referent von Adveniat. Hinzu kommt, dass trotz der sich abzeichnenden Verschärfung der Lage die brasilianische Regierung Manaus praktisch alleine ließ. Nun ermittelt die Justiz wegen des Fehlens von Sauerstoffflaschen gegen den Gesundheitsminister sowie regionale Institutionen.
Impeachment für Bolsonaro?
Bolsonaro tat das, was er immer tut, wenn die Kritik besonders laut wird: Während die Menschen im Amazonasgebiet sterben, stieg er auf ein Motorrad und ließ sich grinsend bei einem Ausflug ablichten. Diese Ignoranz lässt die Rufe nach einem Impeachment-Verfahren lauter werden. Die Opposition prüft verschiedene Varianten, der Weg dahin (es braucht Zwei-Drittel-Mehrheiten) ist weit. Doch erstmals mehren sich die Stimmen, die angesichts von Impfstoff-Chaos und Manaus-Debakel den Versuch einer Amtsenthebung für das richtige Signal halten.
Derweil macht Wissenschaftlern wie Felipe Naveca vom Institut Leonidas & Maria Deane von Fiocruz Amazonia die Mutation des Corona-Virus größte Sorgen. Vor allem, weil Manaus bereits eine große Infektionswelle durchlebte und ein Großteil der Bevölkerung deshalb als immun galt. Sollte sich die Befürchtung von Forschern bestätigen, dass die Virus-Mutation eine zweite Infektion möglich mache, wäre die Hoffnung auf Herdenimmunität vom Tisch.
Zweite Welle und kein Geld
Sollte Brasilien tatsächlich eine zweite tödliche Welle durchleben, wäre der Kredit von Corona-Verharmloser Bolsonaro aufgebraucht. Der Präsident hat zudem ein zweites großes Problem: Er will die populären Corona-Hilfszahlungen an die arme Bevölkerung wegen einer inzwischen leeren Staatskasse aussetzen. Die Hilfsgelder waren aber bisher der Grund, warum trotz chaotischer Corona-Politik die Zustimmungswerte vergleichsweise stabil blieben. Für den Präsidenten, der mit dem abgewählten US-Präsidenten Donald Trump zudem seinen wichtigsten internationalen Partner verlor, beginnt damit die wohl schwierigste und unkalkulierbarste Phase seiner Amtszeit. Und bereits im kommenden Jahr will er wieder gewählt werden.
Zahlen zur Krise
Die Zahl der weltweit nachgewiesenen Corona-Infektionen ist seit Beginn der Pandemie auf mehr als 100 Millionen gestiegen. Auf Brasilien entfallen mehr als 9 Millionen registrierte Infektionen, das sind die drittmeisten nach den USA und Indien. Alleine am Donnerstag kamen fast 62.000 Neuinfektionen hinzu. Brasilien beklagt mehr als 221.000 Tote im Zusammenhang mit Covid (weltweit: 2,1 Millionen)
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