Brain Drain aus der Slowakei: Wenn die jungen Talente abwandern

„Das ist genau der halbe Weg zwischen daheim und der großen Welt“. Agata Gibova lächelt verschmitzt. Die 20-Jährige studiert so wie weitere 20.000 Slowakinnen und Slowaken im tschechischen Brünn. Doch schon jetzt, nach erst ein paar Monaten an der Uni, ist sich Agata nicht mehr sicher, ob sie nach ihrem Studienabschluss in die Slowakei zurückkehren wird.
Und auch damit liegt die Pharmaziestudentin im Trend: Von den 32.000 Slowaken, die derzeit im Ausland studieren – rund 1.500 davon in Österreich – werden 60 Prozent nicht mehr in ihre Heimat zurückgehen.
Höchste Quote
„Das ist gemessen an der Bevölkerungszahl die höchste Quote an Auswanderern unter Studenten in der ganzen EU“, sagt Migrationsexpertin Zuzana Palovic. „Und es ist ein riesiges Problem für die Slowakei.“ Überall fehlen sie, die künftigen Ärzte, Lehrer, Techniker, Wissenschafter, Unternehmensgründer, Ökonomen in Österreichs Nachbarland.
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Der Brain Drain, also die Emigration der Best-Ausgebildeten eines Landes, macht ganz Osteuropa zu schaffen, und das nicht erst seit dem EU-Beitritt vor knapp 20 Jahren. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 sind rund 450.000 Slowaken ausgewandert – auf der Suche nach besseren Perspektiven, Jobs und Lebensbedingungen.
Doch 30 Jahre seit der Unabhängigkeit der Slowakei zieht es noch immer ein Fünftel aller Studierenden ins Ausland, wo die Mehrheit auch bleiben wird. Fast alle gehen an Unis ins benachbarte Tschechien, wo die gemeinsame Sprache das Studieren erleichterte und die Qualität der Hochschulen als sehr gut eingeschätzt wird.
Aus der CSSR geflohen
Zuzana Palovic hat es genau anders gemacht: Noch vor 1989 flohen ihre Eltern aus der damaligen Tschechoslowakei. Sie selbst wuchs in Kanada auf, studierte in den USA, Großbritannien und den Niederlanden. Doch die Migrationsforscherin wollte zurück ins Land ihrer Vorfahren und lebt nun seit fünf Jahren in der Nähe von Bratislava. Die Gründerin der NGO Globalslovakia engagiert sich dafür, den slowakischen Brain Drain zu stoppen.

Migrationsexpertin und Gründerin der NGO Globalslovakia: Zuzana Palovic
Doch wie holt man die jungen Emigranten zurück? „Es muss einen praktischen Gewinn für die Menschen geben“, weiß Zuzana Palova. Und das sei nicht nur Geld – wie etwa Steuererleichterungen, günstige Kredite, subventionierte Kinderbetreuung oder spezielle Stipendien, die Studenten an den eigenen Unis halten, sagt die Expertin. Außerdem unerlässlich: „Das gesamte Schul- und Bildungssystem muss reformiert werden.“
Der größte Vorteil, den die Rückkehrer mitbrächten, wäre eine „neue slowakische Generation mit internationaler Erfahrung, die neue Wurzeln in der Slowakei schlagen würden.“ Eine neue Dynamik und frischer Wind für die gesamte Gesellschaft.
2, 8 Millionen Euro
Dass sich etwas ändern muss, hat die Politik schon vor Jahren gesehen – aber eher glücklos dagegengesteuert. 40.000 Auswanderer will die Regierung nun bis zum Jahr 2030 wieder in die Slowakei bringen. Dafür wurde die Forschungs- und Innovationsbehörde VAIA gegründet, die sogleich mit einer Zahl schockierte: 2,8 Millionen Euro gehen mit jeder gut ausgebildeten Slowakin oder Slowaken verloren, wenn sie oder er auswandern.
Die Summe schlug auch in der Politik wie eine Bombe ein – die nun mit neuen Gesetzen versucht, auch schon vor Jahrzehnten emigrierte Menschen zurückzulocken: Seit dem Vorjahr können auch Menschen, deren Urgroßeltern einst auswanderten, einen slowakischen Pass beantragen.
Denn die Slowakei braucht nicht nur die Jungen, die Best-Ausgebildeten. Händeringend sucht etwa die Autoindustrie des Landes Arbeitskräfte. Und im Osten des Landes fehlen die Frauen – von dort kommen viele, die derzeit in Österreich als Pflegekräfte arbeiten.
„Die Regierung negiert unser demografisches Problem. Es gibt mehr Todesfälle als Geburten“, sagt Palovic. Die Slowakei, eines der jüngsten Länder Europas, altert – und sie altert schnell: 3,65 Mio. Menschen sind derzeit im arbeitsfähigen Alter. Hält der Trend an, wären es in rund 25 Jahren eine Million weniger.
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