Von Schmähführern und Beleidigten

Erniedrigte und Beleidigte auf der einen Seite, Schmähtandler und Buhmänner auf der anderen
Jan Böhmermann ist nicht der erste Satiriker, der an politische Tabus rührt und so auch an eigene Grenzen stößt.

"Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?"

Jan Böhmermann blickt nochmals fragend in die Kamera, bevor er in jener Ausgabe des Neo Magazin Royale, das die deutsche Regierung nun in eine kleine Krise gestürzt hat, zum Rezitieren ansetzt. "Das kann bestraft werden!", sagt sein Sidekick Ralf Kabelka nachdrücklich, um wirklich jedem klar zu machen: Das, was folgen wird, könnten strafbare Handlungen sein.

Böhmermann hat sich selbst auf dem Silbertablett serviert, quasi. Dass er, der schon immer ein Faible für die doppelbödige Satire und die Kunst des Meta-Vorführens hatte, wegen seiner hübsch verpackten unterirdischen Schimpftirade auf den türkischen Präsidenten nun aber tatsächlich vor Gericht landen könnte, mag wohl kein beabsichtigter Teil der Inszenierung gewesen sein. Klar, er wollte karikieren, wie die Mechanismen der Meinungsunterdrückung in autoritären Regimen funktionieren; dass er damit aber wirklich die von ihm karikierte Kaskade politischer Mechanismen auslöst, war vermutlich kein kalkulierter Nebeneffekt.

Majestätsbeleidigung

Tatsächlich hat der antiquierten Majestätsbeleidgungs-Paragraf, auf den er angespielt hat, und der nun auch zum Einsatz kommt, schon lange keinen deutschen Kanzler mehr beschäftigt.

Der letzte, der damit zu tun hatte, war Ludwig Erhard; er ermöglichte 1964 dem Schah von Persien eine Klage, da der sich durch eine Karikatur im Kölner Stadtanzeiger angegriffen gefühlt hatte. Sie zeigte den Potentaten mit dem saudischen Ex-König Saud, der ihm seine dritte Frau Farah Diba als Haremsdame verkauft – ein kleines Bild, das das Fass zum Überlaufen brachte: Der Streit war der Gipfel jahrelangen Drängens des Schahs auf eine positive Berichterstattung – was ihm gelang: Die Zeitung entschuldigte sich, der Zeichner wurde verurteilt.

Die Deutungshoheit über das eigene Bild ist es, das die Erniedrigten und Beleidigten antreibt. Sehr publikumswirksam führte dies CSU-Übervater Franz Josef Strauß vor, der 1987 mittels Klage beweisen wollte, dass Kurt Tucholskys berühmter Satz "Satire darf alles" nicht stimmt. Das glückte ihm: Ein Gericht erklärte eine Karikatur für rechtswidrig, die Strauß als mit Justitia kopulierendes Schwein zeigt. Ein seltsam ironisches Urteil, schließlich spielte die Zeichnung auf Strauß’ Einfluss auf die Justiz an – und war zu allem Überdruss noch mit Tucholskys Worten betitelt.

Der Rechtsstreit kostete Strauß nicht nur viel Zeit sondern auch viel Geld. Andere greifen im Kampf gegen die Macht der Satire aber selbst zu fragwürdigen Mitteln: Der Film "The Interview" sorgte vor zwei Jahren für einen diplomatischen Eklat zwischen den USA und Nordkorea, weil es Machthaber Kim Jong-Un in recht unvorteilhafter Pose zeigt. Dass ihm darin ein Vaterkomplex und ein schwaches Wesen attestiert werden, sorgte für massive Drohungen – dem Film und seinen Machern brachte es aber unbezahlbare Aufmerksamkeit.

Von Schmähführern und Beleidigten
ARCHIV - Die Brüder Jaroslaw (l) und Lech Kaczynski (Archivfoto vom 01.08.2005). Der polnische Präsident Lech Kaczynski ist bei einem Flugzeugabsturz am 10.04.2010 in Russland ums Leben gekommen. Das meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf den Gouverneur der Region Smolensk. Alle 132 Menschen an Bord der Maschine seien ums Leben gekommen. Foto: EPA/RADEK PIETRUSZKA +++(c) dpa - Bildfunk+++
​Dass das Mittel der bewussten Provokation diesen netten Nebeneffekt hat, ist vielen Satirikern sicherlich nicht unrecht. Auch bei Böhmermann, der zuletzt bereits von einem kleinen Hype zum anderen ritt, mag das durchaus eine Rolle gespielt haben. Vorgezeigt, wie das funktioniert, hat das in Deutschland oft das Satire-Magazin Titanic zuletzt 2012: Der Cover zeigte den damaligen Papst Benedikt angesichts der Vatileaks-Enthüllungen mit einem uringelben Fleck auf der Soutane. Dies und der darunter stehende Titel "Die undichte Stelle ist gefunden" führten zu einer einstweiligen Verfügung; Titanic bescherte es weltweites mediales Echo. Auch die linke taz nutzte die bewusste Provokation schon oft, um sich selbst zu vermarkten. Das brachte ihr 2006, als sie den damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczinsky als "Polens neue Kartoffel" bezeichnete, viel Gelächter ein – und der Kanzlerin aufgeregte Telefonate.
Von Schmähführern und Beleidigten
ARD/SWR 60 JAHRE ARD - VIER LANGE NÄCHTE TEIL 3, "Unterhaltung & Talk", am Samstag (17.04.10) um 23:30 Uhr im ERSTEN. Für starke Unterhaltung ist im Rückbilck gesorgt mit Rudi Carell "Am laufenden Band". Rudi Carrell © SWR/MDR/Winkler, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter SWR-Sendung bei Nennung "Bild: SWR/MDR/Winkler" (S1). SWR-Pressestelle/Fotoredaktion, Baden-Baden, Tel: 07221/929 -3852, Fax: -2059, foto@swr.de
Noch mehr diplomatischen Wirbel erzeugte ein heute harmlos wirkender Beitrag Rudi Carrells 1987. Der Niederländer hatte in seiner Satiresendung "Rudis Tagesshow" Bilder des achten Jahrestages der iranischen Revolution; dazwischen geschnitten waren Fake-Aufnahmen, die zeigten, wie der streng konservative Revolutionsführer Khomeini mit Damenunterwäsche beworfen wird. Die Folge war ein politisches Erdbeben – der Iran zog seinen Botschafter ab, verwies deutsche Diplomaten des Landes, die Iran-Air stellte ihre Flüge nach Deutschland ein.

Herzblatt-Schicksal

Auch für Carrell endete die Affäre unangenehm. Er bekam Morddrohungen, stand unter Polizeischutz; wie bei Böhmermann jetzt. Nur: Carrells Karriere als Komiker hatte danach ein Ende – seine Sendung wurde eingestellt, er moderierte fortan die Flirtshow "Herzblatt". Ein Schicksal, das Jan Böhmermann und uns hoffentlich erspart bleibt.

Jan Böhmermann macht Urlaub. Tagelang war der Satiriker auf Tauchstation; jetzt, nachdem die deutsche Regierung dem Ansinnen des türkischen Staatspräsidenten auf Strafverfolgung stattgegeben hatte, hat er sich erstmals zu Wort gemeldet. In einem Facebook-Posting, das ganz im satirischen Stil des Komikers gehalten ist, kündigte der 35-Jährige am Samstagnachmittag an, sich für einige Zeit aus der TV-Welt zurückziehen zu wollen. Weil er und sein Team es geschafft hätten, nicht nur die Top-Themen aus Politik, Feuilleton und Boulevard satirisch einzuordnen, sondern selbst "jedes dieser drei Presse-Levels selber einmal durchzuspielen", habe er sich zu einer Pause entschlossen.

Es gebe "möglicherweise bedeutsamere Themen, als die Diskussion um ein in einer Satire-Sendung vorgetragenes Gedicht", schreibt der Satiriker – zudem gelte es einen weiteren Song von Dieter "Didi" Hallervorden zum Thema zu verhindern, schreibt Böhmermann. Der 80-jährige Komiker hatte im Zuge der Causa ein eigenes Anti-Erdogan-Lied verfasst.

Das ZDF, wo das Neo Magazin Royale normalerweise Freitagabends läuft, hat bestätigt, dass Böhmermann und sein Team vorerst nicht auf Sendung gehen werden; die Pause soll bis zum 12. Mai dauern. Was stattdessen auf dem freien Sendeplatz laufen wird, wisse man noch nicht. Was den juristischen Streit angeht, ließ man wissen, dass man Böhmermann bis zur letzte Instanz unterstützen werde. Der Satiriker selbst bedankte sich in seinem Posting auch bei vielen Unterstützern – er fühle "eine Solidarität für die Sendung von der überwältigenden Mehrheit derjenigen, die nicht Präsident Erdogan sind."

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