Merkel beugt sich Erdogans Drängen

German Chancellor Angela Merkel gives a statement on Turkey's request to seek prosecution of German comedian Jan Boehmermann who read out a sexually crude poem about Turkish President Tayyip Erdogan on German television, at the Chancellery in Berlin, Germany April 15, 2016.
Kanzlerin erlaubt Strafverfolgung gegen Willen der SPD - der umstrittene Paragraf 103 wird abgeschafft.

Leicht dürfte ihr die Entscheidung nicht gefallen sein, das konnte man sogar hören. Als Angela Merkel am Freitag verkündete, dass "nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort" im Falle Erdogan gegen Böhmermann haben werden, dass man also dem türkischen Antrag auf Strafverfolgung stattgibt, verhaspelte sich sie sich beim Reden.

Der Grund dafür war wohl weniger die Kritik der Opposition, die umgehend Merkels "Kniefall" vor dem türkischen Präsidenten geißelte. Vielmehr hat Böhmermann es geschafft, die deutsche Kanzlerin mit seinem Schmähgedicht innerhalb der eigenen Regierung ordentlich in Bedrängnis zu bringen: Fünf Tage lang war ressortübergreifend darüber beraten worden, wie man mit der Forderung Erdogans, den umstrittenen Majestätsbeleidigungs-Paragrafen auf Böhmermann anzuwenden, umgehen soll – zu guter Letzt blieb die Entscheidung aber an Merkel allein hängen. Weil die SPD-Minister sich dagegen stemmten, musste sie ihre Richtlinienkompetenz ausspielen – etwas, was nicht allzu oft passiert; denn damit zwingt sie den Regierungsmitgliedern ihren Willen auf.

Merkel beugt sich Erdogans Drängen
Jan Böhmermann muss wohl vor die Staatsanwaltschaft treten.
Das ist es auch, was nun für ein kleines Beben innerhalb der Koalition sorgt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein Kollege aus dem Justizressort, Heiko Maas, distanzierten sich kurz nach Merkels Mitteilung öffentlich von ihr. Sie argumentierten, dass der Schritt unnotwendig gewesen sei, da eine Strafverfolgung des Satirikers ohnehin stattgefunden hätte – Erdogan hat unabhängig von Paragraph 103 auch als Privatmann Beleidigungs-Anzeige gegen Böhmermann erstattet.

"Unterwerfung"

Ähnliches kritisierte auch die Opposition. Die Grünen spielten darauf an, dass Merkels Zugeständnis an Erdogan vor allem mit dem fragilen Flüchtlingspakt zu tun habe – sie müsse nun mit dem Vorwurf leben, "dass ihr der Deal mit der Türkei wichtiger ist als die Verteidigung von Pressefreiheit", so Fraktionschef Anton Hofreiter. Die Linksfraktion sprach sogar davon, dass sich Merkel "dem türkischen Despoten" unterwerfe. Erdogans AKP begrüßte hingegen die Entscheidung der Kanzlerin. "Diese Entscheidung ist zweifellos eine richtige", sagte ein AKP-Sprecher. "Eine Beleidigung unseres Präsidenten ist eine Respektlosigkeit gegenüber unserer Nation und unserem Staat."

Unter deutschen Intellektuellen und Medienmachern war die Ablehnung weniger einhellig. Während das ZDF, Böhmermanns Heimsender, die Entscheidung "politisch" nannte, wird Merkels Schritt andernorts als geradezu unpolitisch gewertet: "Ihr denkt also, dass Merkel die Gewaltenteilung hätte missachten sollen, um gegen Erdogans Missachtung der Gewaltenteilung zu protestieren?", schrieb Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo; ähnlich kommentierten dies auch andere Journalisten. Merkel selbst hatte in ihrer Begründung auf die Verfehlungen der Türkei in Sachen Pressefreiheit hingewiesen – allein seit Erdogan im Amt ist, gab es knapp 2000 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung. Dass Merkel die Justiz entscheiden lässt, wird deshalb auch als Signal an die Türkei gewertet; und im Kanzleramt hofft man ohnehin, dass das Hauptverfahren gegen Böhmermann erst gar nicht eröffnet wird.

Das ist laut Juristen nämlich durchaus wahrscheinlich. Befinden wird darüber in den kommenden Wochen die Staatsanwaltschaft in Mainz; erhebt sie tatsächlich Anklage nach dem umstrittenen Paragrafen 103, so wird dies mit ziemlicher Sicherheit die letzte ihrer Art sein: Die Regierung hat nämlich angekündigt, den Paragrafen, der aus dem 19. Jahrhundert stammt, abschaffen zu wollen – 2018 soll er Geschichte sein.

Was Jan Böhmermann selbst dazu sagt, bleibt währenddessen ungewiss. Er ist weiterhin untergetaucht – und somit wohl der einzige, der sich in der ganzen Aufregung nicht zu Wort gemeldet hat.

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