"Keine Rücksicht auf den ,Irren vom Bosporus‘"

Für Martin Sonneborn, Chef-Satiriker bei Titanic und EU-Parlamentarier, hat Jan Böhmermann alles richtig gemacht.

Martin Sonneborn (50) ist Mitherausgeber des Satireblatts Titanic. Seit 2014 sitzt er für die Spaßpartei "Die Partei" im EU-Parlament.

KURIER: Wie sehen Sie als Satiriker und Politiker die Causa Böhmermann? War die deutsche Reaktion auf Erdogans Drängen richtig?

Martin Sonneborn: Nein, die deutsche Reaktion ist nicht angemessen. Wenn ich Regierungschef wäre – das bin ich noch nicht, aber ich sitze immerhin im Kulturausschuss des europäischen Parlamentes – hätte ich bereits Panzer in Richtung Türkei in Bewegung gesetzt. Ich hätte das als Affront behandelt, der es auch war, ich hätte nicht aus innenpolitischen Gründen Rücksicht genommen auf einen Despoten, auf den „Irren von Bosporus“, wie wir ihn hier im Parlament liebevoll nennen.

Sie geben Kanzlerin Merkel in gewisser Weise selbst die Schuld für die Eskalation?

Ja, das ist ja alles Unsinn. Es war eine vollkommen legitime, satirische Reaktion von Böhmermann. Viele Kommentatoren kennen nur die beleidigenden Teile, es ist aber eingeordnete Satire, was er da gemacht hat. Ich bin unter anderem ja auch Mitherausgeber des Satiremagazins Titanic und ich habe meine Magisterarbeit in Deutschland auch über die theoretischen Hintergründe von Satire geschrieben. Ich kann und darf das also beurteilen und sage, das war eine legitime Reaktion.

Wären Sie auch so weit gegangen?

Nein, weil ich im Moment ja im europäischen Parlament tätig bin und auf eine gewisse Seriosität setze. Aber das Ganze hat natürlich Titanic-Charakter; die Aktion ist von titanischem Geist beseelt. Dadurch, dass das Ganze im Fernsehen ausgestrahlt wurde, dass die Leute damit konfrontiert wurden, ohne dass der abschreckende Aufkleber „Vorsicht, Satire“ oben drüber stand, ist es dann eskaliert. An Böhmermann und seiner Reaktion selbst ist gar nichts auszusetzen. Lediglich die politische Reaktion in Deutschland ist unangemessen. Angela Merkel äußert sich da absolut kenntnisfrei. Sie ist zwar oft das Opfer unserer Satiren gewesen, aber sie hat keine Kenntnis in diesem Bereich.

Ist Ihnen schon Ähnliches widerfahren?

Ich hatte tatsächlich mal eine Situation, die auch relativ hochkochte – im Jahr 2000, als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vergeben wurde, habe ich Bestechungs-Faxe an das FIFA-Komitee geschickt. Nach unseren Faxen hatte sich ein älterer, verwirrter Abgeordneter der Stimme enthalten, obwohl er eigentlich vom Verband her gegen Deutschland stimmen sollte – und die WM ging dann nach Deutschland. Deshalb glaubt noch immer die Hälfte der Deutschen, dass die WM deswegen zu uns gekommen ist (Anm: Die Entscheidung ging mit nur einer Stimme Überhang für Deutschland aus). Die Bildzeitung hat damals gegen uns polemisiert, hat es als Angriff gegen das korrupte System FIFA verstanden – was es auch war -, und dazu aufgerufen, uns mal die Meinung zu sagen; sie hat unsere Telefonnummer veröffentlicht. Wir haben dann einige Tage mit wüstesten Beschimpfungen zu tun gehabt.

"Keine Rücksicht auf den ,Irren vom Bosporus‘"
Der deutsche Satiriker und Publizist Martin Sonneborn (r), Vorsitzender der Partei "Die Partei", hält am Donnerstag (18.08.2011) in Berlin ein manipuliertes Plakat der NPD mit der Aufschrift "Gas geben!" und dem Bild des 2008 verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Haider. Im Hintergrund hängen mehrere Wahlplakate weiterer Parteien. Sonneborn und andere Mitglieder seiner Truppe überklebten und veränderten am Abend mehrere Plakate der NPD. Foto: Tobias Kleinschmidt dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++

Beschimpfungen aus Österreich kenne ich auch. Als Haider seine erste Regierungsbeteiligung hatte, habe ich bei Ihrer Außenministerin Benita Ferrero-Waldner angerufen und gesagt, ich sei der Büroleiter unseres Außenministers Fischer. Ich sagte ihr, wir müssten Sie leider von der EXPO 2000 ausladen, das hat sich dann sogar drei oder vier Tage gehalten über Ostern. Wolfgang Schüssel soll gebrüllt haben in der Burg.

Sind Sie jemals vor Gericht gestanden wegen einer Aktion?

Nein, die Fifa-Sache hat eine Klageandrohung nach sich gezogen, es ging um Schadenersatz in Höhe von 600 Millionen D-Mark. Ich konnte mich der Klage aber entziehen, indem ich eine Erklärung des DFB und der FIFA unterzeichnet habe, dass ich nie wieder Bestechungsversuche durch das Versenden von Faxen unternehmen werde. Wir haben aber oft Beleidigungsklagen bekommen. Jede zehnte Ausgabe der Titanic ist verboten, also die Auslieferung ist untersagt, weil wir uns entweder außergerichtlich geeinigt haben oder tatsächlich verurteilt worden sind. Man weiß aber nie, aus welcher Richtung die Klagen kommen. Dieses Extra-3-Liedchen, das die ganze Affäre ausgelöst hat, wäre ja auch untergegangen, wenn nicht dieser Idiot, Erdogan, aufgesprungen wäre.

Wie wird denn das Thema im EU-Parlament diskutiert?

(In sarkastischem Tonfall) Eigentlich nur von mir, es gibt nicht so viele Abgeordnete, die das mit mir diskutieren. Ich mach' mich jetzt stark für die Einführung von Satirerichtlinien in Europa. Es muss Regeln geben, damit man weiß, welche Despoten wie, in welcher Form und wie heftig beleidigen kann – wobei, streichen Sie Despoten und schreiben Sie Staatsoberhäupter. Man darf Putin beleidigen, Faymann darf man sicher auch beleidigen, es ist ja nur ein kleines, kotelettförmiges Land, dem er vorsteht. Den Papst darf man auch angehen, aber Erdogan nicht – und das muss man jetzt in einer EU-Richtlinie vereinheitlichen.

"Keine Rücksicht auf den ,Irren vom Bosporus‘"
Der Bundesvorsitzende von Die Partei, Martin Sonneborn, posiert am Montag (12.09.2011) in Berlin vor einem Wahlplakat. Wenige Tage vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin enthüllte Die Partei ihr erstes sogenanntes Großplakat auf dem Ernst-Reuter-Platz. Der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift "Titanic" engagiert sich seit 2004 politisch und kandidiert in Berlin auf Liste 13. Foto: Soeren Stache dpa/lbn +++(c) dpa - Bildfunk+++

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