Warum Bidens Europatour eigentlich eine Anti-China-Mission ist
Ein Thema dominiert alle Etappen des US-Präsidenten bei seiner ersten Europareise: Er sucht Verbündete gegen Peking. Aber die Europäer wollen nicht so recht mit.
Freundlich, gar nicht laut oder grob – und dennoch klingt Vieles, was Joe Bidens europäische Gesprächspartner in den nächsten Tagen vom US-Präsidenten hören werden, nach einer Fortsetzung der Donald-Trump-Agenda: Der bedrohlichste Gegner der USA sei China, lautet auch Bidens Botschaft.
In Brüssel, beim NATO-Gipfel am Montag, vernimmt man dies mit gemischten Gefühlen. Das westliche Verteidigungsbündnis muss sich auf künftige Herausforderungen ausrichten. Doch die zielen auf Druck Washingtons hin nun weniger auf den Kampf gegen den Terror oder Russland – sondern vor allem gegen die Volksrepublik.
Nicht mitzuziehen ist für die zurückhaltenden europäischen NATO-Partner keine Option. Die Position Europas aber sei es dennoch, sagt Generalmajor Johann Frank, „den USA in dieser Richtung nur so viel Zugeständnisse zu geben wie nötig“.
Noch immer sei innerhalb der NATO die Erleichterung über den Abgang von Ex-Präsident Trump groß, meint der Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement. Trump hatte das Militärbündnis gering geschätzt, es gar als „obsolet“ bezeichnet.
„Aber schauen wir mal, wie lange der Honeymoon mit Biden anhält, wenn es um die harten Punkte geht. Die NATO ist für die Amerikaner ein Baustein in der Auseinandersetzung mit China.“
Gefährlicher Konkurrent
Die USA haben ein klares Bild von China: Die Volksrepublik ist zum gefährlichsten Konkurrenten herangewachsen. Für Europa aber „ist das Verhältnis zu China ein heikles Thema“, schildert Stefan Lehne. „Diesen sehr restriktiven Kurs der USA mitzutragen, wird für die Europäer schwierig werden“, führt der frühere Spitzendiplomat und Experte beim Think Tank Carnegie Europe aus. Für Deutschland etwa sei China der wichtigste Handelspartner, „die deutsche Autoindustrie ist vollkommen abhängig vom chinesischen Markt.“
Im Vorjahr war China erstmals der wichtigste Handelspartner für die Europäische Union. Sie exportierte fast doppelt so viele Waren nach China wie in die USA.
Ökonomen fordern deshalb: Europa müsse sich in seiner Politik gegenüber China mehr auf eigene Beine stellen – und gleichzeitig von den USA unabhängiger werden. Allein schon deshalb, weil Europa sonst drohe, im zunehmenden Machtkampf zwischen den beiden Giganten USA und China aufgerieben zu werden.
Treffen mit EU-Spitze
Brüssel
Nach dem G7-Treffen in Großbritannien steht für den US-Präsidenten am Montag ein Gipfeltreffen bei der NATO auf dem Programm. Tags darauf gibt es ein Treffen mit den EU-Spitzen Ursula von der Leyen und Charles Michel
Genf
Den Abschluss von Bidens Europa-Tour bildet am Mittwoch ein Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin
Doch auch beim Gespräch mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel wird Biden am Dienstag darauf drängen: EU und USA müssen sich gemeinsam gegen die zunehmend aggressivere Volksrepublik in Stellung bringen. Der Kitt, der das festigen soll, seien die „gemeinsamen Werte, das gemeinsame Verständnis von Freiheit und Demokratie“, wird der amerikanische Präsident auf seiner Europa-Tour immer wieder beschwören.
Ein konkretes Ergebnis künftiger, engerer Zusammenarbeit wird die Bildung eines gemeinsamen Handels- und Technologierates sein. Er soll eine bessere transatlantische Kooperation bei Zukunftstechnologien voranbringen.
In Brüssel aber will man vor allem eines hören: Biden möge endlich die von Trump verhängten Strafzölle auf europäische Stahl- und Aluminiumsexporte in die USA aufheben. Bisher gab es in dieser Richtung allerdings noch keine Bewegung.
Abstieg
Vor 20 Jahren hatte die US-Wirtschaft noch einen Anteil von 30,2 Prozent am globalen BIP. Heute sind es 24,8 %. Der Anteil der EU sank von 21,4 auf 17,9 %.
Aufstieg
Chinas Anteil am globalen BIP stieg von 3,5 % im Jahr 2000 auf heute 17,4 %. Tendenz weiter steigend
384 Mrd. Euro
betrug 2020 der Wert der Importe der EU-27 aus China – erstmals höher als jene aus den USA.
Gipfel mit Putin
Das letzte seiner europäischen Gipfeltreffen wird Biden am Mittwoch nach Genf führen. Dort wartet Russlands Präsident Wladimir Putin – jener Mann, den der US-Präsident vor Kurzem bei einem Interview als „Mörder“ bezeichnet hatte.„Die amerikanisch-russischen Beziehungen sind so schlecht wie schon lange nicht mehr“, sagt Stefan Lehne. Nawalny, Spionage, die Hackerangriffe – all dies hätten die Spannungen noch weiter belastet. Bahnbrechende Ergebnisse erwartet sich der frühere Diplomat von dem Treffen nicht.
Wichtig sei der Gipfel vor allem für Putin und sein Prestige: „Er will als gleichrangiger, globaler Akteur wahrgenommen werden.“
Den USA hingegen läge vor allem daran, meint Andrea Kendall-Taylor, „die Temperaturen zwischen Washington und Moskau nicht noch frostiger werden zu lassen“. Die frühere CIA-Analytikerin und nunmehrige Direktorin beim Center for a New American Security (CNAS) aber warnt: „Der Ball liegt jetzt bei Putin. Wenn bei dem Treffen in Genf nichts herauskommt und sich Putin an einer Entspannung nicht interessiert zeigt, dann wird es wohl konfrontativer werden.“
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