Österreichs Gesundheitssystem kämpft mit einem Fachkräftemangel. Eine Maßnahme: Gut ausgebildete Personen aus Drittstaaten zu holen. Zwei Pflegerinnen erzählen von ihrem Weg.
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Palmenstrände, Teeplantagen, Elefantenschutzgebiete – und große Armut: Das Leben im südindischen Bundesstaat Kerala, wo Rose (26) und Josmy (33) herkommen, ist sehr anders als in Österreich. Vor mittlerweile mehr als drei Monaten haben die zwei jungen Frauen es zurückgelassen und sich in ein Flugzeug nach Wien gesetzt. Hier kümmern sie sich um Kranke.
Sie sind Teilnehmer eines Projekts der Barmherzigen Brüder, die derzeit eine ganze Reihe junger indischer Pflegekräfte in ihre Krankenhäuser und Betreuungseinrichtungen holen. Insgesamt vier von ihnen arbeiten aktuell in Wien, 18 weitere in anderen Bundesländern. Über 40 sollen in diesem Jahr noch folgen, so der Plan.
"Hier kann ich das schaffen"
Die Gründe, warum sie sich angemeldet hat, waren vor allem finanzielle, erzählt Rose: „Mein Gehalt in Indien hat zum Leben kaum gereicht. Ich muss einen Kredit zurückzahlen, den ich für mein Studium aufgenommen habe. Hier kann ich das schaffen.“ Einen Teil ihres nun viel höheren Lohns schickt sie jeden Monat nach Hause, an ihre Eltern und die Schwester. Bei Josmy ist es ähnlich, sie hat einen sechs Jahre alten Sohn und einen Ehemann in Kerala.
Die beiden brauchen das Geld aus Österreich, und Österreich braucht sie. Angesichts von Alterung und schwachen Geburtenraten benötigt das Land bis 2030 ungefähr 51.000 zusätzliche Pflege- und Betreuungskräfte, rechnete die Gesundheit Österreich GmbH 2023 vor.
Der Ansatz, den hohen Bedarf mit gut ausgebildeten Menschen aus Drittstaaten zu decken, ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden, besonders seit der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte im Herbst 2022.
„Damals haben sich einige Personalagenturen bei uns gemeldet“, erinnert sich die Pflegedirektorin der Barmherzigen Brüder Österreich, Barbara Mally. Die Firmen hätten Fotos und kurze Lebensläufe von Diplomierten aus Kolumbien und Tunesien vorgelegt, aus denen man auswählen konnte.
"Wissen nicht, ob diese Menschen freiwillig gekommen wären"
Einige Krankenhäuser machen das so. Auch Mally und ihre Kollegen diskutierten darüber, letztlich entschieden sie sich dagegen: „Für uns hatte das einen komischen Beigeschmack. Wir wissen nicht, ob diese Menschen freiwillig zu uns gekommen wären.“ Aus den Überlegungen heraus sowie mangels eines Unterstützungsprojekts des österreichischen Staats, wie es eins in Deutschland gibt, entstand jedoch die Idee, ein eigenes Projekt mit Partnern in Indien aufzusetzen.
Der Provinzial der Barmherzigen Brüder stammt selbst aus Kerala. Als er 2023 Familie und Freunde besuchte, fädelte er die nun laufende Kooperation mit Ausbildungsstätten vor Ort ein.
Zu Jahresende 2024 waren laut Arbeitsministerium in Österreich 8.362 indische Staatsangehörige unselbstständig beschäftigt.
Für Pflegekräfte aus Indien wurden seit 2011 bis inkl. Jänner 2025 insgesamt 415 positive Gutachten ausgestellt, davon 139 für diplomierte Pflegekräfte, 276 für nicht diplomierte Pflegekräfte. Davon wurden 199 seit der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte im Oktober 2022 ausgestellt.
Auch aus anderen Drittstaaten wird in Österreich Pflegepersonal rekrutiert, etwa von den Philippinen, aus Vietnam, Kolumbien oder Tunesien.
Insgesamt fehlen bis zum Jahr 2030 in etwa 51.000 zusätzliche Pflege- und Betreuungskräfte, prognostizierte die Gesundheit Österreich GmbH 2023.
Westlicher Wettbewerb
Fachkräfte aus Indien sind allgemein und aus mehreren Gründen attraktiv für westliche Länder, es ist ein regelrechter Wettbewerb um sie entstanden. Einerseits ist das Bildungsniveau in einigen Gegenden, Kerala etwa, hoch. Hinzu kommt die Schulsprache Englisch. Und die Bevölkerung im Land ist jung und groß – wandern Pfleger in größerem Ausmaß ab, stürzt das Indien nicht in einen eigenen Notstand, wie das beispielsweise auf dem Westbalkan droht.
Es gibt aber auch große Hürden. „Deutsch spricht kaum jemand, weshalb viele nach Kanada oder Australien gehen“, sagt Mallys Kollegin Romana Gabriel, Personalleiterin der Barmherzigen Brüder. „Wir stehen also in starker Konkurrenz mit anderen Staaten.“
Rose und Josmy haben von ihren damaligen Arbeitgebern vom Projekt erfahren und noch in Indien Deutsch gelernt, innerhalb nur eines Jahres schafften sie es trotz beschränkter Plätze auf das Level B1. Richtig schwer gemacht hat ihnen den Umzug dann die Bürokratie österreichischer Behörden. „Ein Wahnsinn ist, dass die Pfleger ihre Originaldokumente per Post nach Österreich schicken müssen. Ich weiß nicht, ob ich das machen würde“, nennt Mally ein Beispiel.
Österreich solle versuchen, den – derzeit sehr bürokratischen und langwierigen – Formalprozess „über alle Behörden hinweg zu optimieren und zu beschleunigen“, wünscht sich Gabriel. Aufgrund solcher Schwierigkeiten, etwa weil die Anerkennung der indischen Studienabschlüsse so lang gedauert habe, hätte der Weg der Pfleger nach Wien mehrere Monate länger gedauert als gedacht.
Die 26-jährige Rose arbeitet auf der chirurgischen Station.
Monate, die viele der Projektteilnehmer sich kaum leisten konnten und die Frustration auslösten, berichten die Krankenhausvertreter. „Gleich zu Beginn sind einige abgesprungen, weil sie nicht mehr daran geglaubt haben, dass das noch was wird. Sie haben uns gefragt, ob wir sie überhaupt wollen“, sagt Gabriel.
Der Orden hat dann Ehrenamtliche nach Kerala geschickt, um den jungen Frauen und Männern in den Wochen des Wartens zumindest persönlich ihre Fragen zu Österreich beantworten zu können. Schon davor organisierte man online regelmäßige Kennenlerntreffen und Sprachcafés.
Fachliche und soziale Integration strikt getrennt
Denn Vertrauen füreinander aufzubauen sei für einen Prozess wie diesen essenziell, betonen Mally und Gabriel. Und der hat nicht aufgehört, jetzt wo die neuen Pfleger da sind. Um ihre fachliche Integration kümmert sich die jeweilige Station. Sie sind bewusst alle auf unterschiedlichen Stationen, Rose etwa arbeitet auf der Chirurgie, Josmy auf der Onkologie. Privat wohnen sie zusammen.
Für die soziale Integration ist eine eigene Beauftragte zuständig. Sie hilft beim Aufsetzen von Telefon- und Mietverträgen, ist aber auch Ansprechpartnerin für alle kulturellen Eigenheiten des österreichischen Lebens.
Ein offenbar großes Thema: Essen. „In Indien habe ich keine Gabeln und Messer verwendet. An meinem ersten Tag hier habe ich deshalb auch mit den Händen gegessen und schnell gemerkt, dass man das hier anders macht“, erzählt Josmy lachend.
Sie und Rose fühlen sich wohl in Österreich, sagen sie. Die Arbeit nehmen sie als viel weniger stressig wahr als in Indien. Auch mit den österreichischen Kollegen verstehen sie sich gut, die Weihnachtsfeiern im Dezember hätten das einfach gemacht. Die Patienten seien ihnen gegenüber außerdem respektvoller als zu Hause. Lediglich mit den Dialekten gebe es manchmal Schwierigkeiten.
„Wir wollen nicht Löcher stopfen, sondern, dass diese Menschen gerne bei uns arbeiten, im Idealfall hier sesshaft werden“, sagt Mally.
Wollen sie das? Die Pflegerinnen nicken. Doch sie hoffen, ihre Liebsten aus der alten Heimat in der neuen bald wiedersehen zu können. Die Chancen stehen gar nicht schlecht – sowohl Josmys Ehemann als auch Roses Freund sind Krankenpfleger.
(kurier.at, sem)
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