von Florian Mühleder
"Eins, Zwei, Drei, Vier, Scheich Hasina ist eine Diktatorin", hallte in den vergangenen Tagen durch die Straßen Dhakas und vieler anderer Städte Bangladeschs. Der Sprechgesang wurde zu einem der Zeichen des Widerstandes gegen die Machthaberin Hasina Wajed, genannt Scheich Hasina – und seit Montagvormittag Ex-Machthaberin.
Seit knapp einem Monat forderten die Demonstranten ihren Rücktritt und einen Regimewechsel. Am Montagvormittag eskalierte die Situation, Protestierende drangen in den Regierungssitz ein und besetzten ihn. Fotos zeigen, wie sie den Regierungspalast plünderten und Möbel mitnahmen. Wenige Stunden später bekamen sie ihren Willen: Hasina trat nach 15 Jahren Regierungszeit zurück und flüchtete nach Indien.
Die Nachricht verkündete Armeechef General Waker-uz-Zaman in einer Fernsehübertragung. Die Bildung einer Übergangsregierung wurde aufgetragen. Laut Reuters habe Zaman "fruchtbare" Gespräche mit den Führern aller großen politischen Parteien geführt. Er werde sich bald mit Präsident Mohammed Shahabuddin treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zaman forderte die Menschen dazu auf, nun nach Hause zurückzukehren und die Proteste einzustellen.
Politischer Werdegang
Die inzwischen ehemalige Premierministerin Hasina war seit 2009 im Amt und regierte mit Unterbrechungen insgesamt mehr als 20 Jahre. 1996 wurde sie erstmals ins Amt gewählt. Mit ihrer Zeit an der Spitze des Staates wird der wirtschaftliche Aufschwung eines des einst ärmsten Landes der Welt in Verbindung gebracht. Sie galt als Figur der Demokratiebewegung. In den letzten Jahren wandelte sich ihr Führungsstil allerdings und wurde stetig autoritärer. Im Jänner gewann sie neuerlich die Wahlen, errang 223 von 300 Parlamentssitzen und ging in ihre fünfte Amtszeit. Ein großer Teil der Oppositionsparteien boykottierte die Wahl. Im Vorfeld wurden laut Opposition über 25.000 Politiker festgenommen. Diplomaten aus China, Russland und Indien gratulierten dennoch zum "absoluten Sieg".
Familie bei Mordanschlag getötet
Hasina ist Tochter des ersten Präsidenten und "Gründungsvaters" Bangladeschs, Mujibur Rahman. Beim Militärputsch im August 1975 wurde Hasinas gesamte Familie bis auf ihre Schwester, ihre Kinder und ihren Mann getötet. Der Anschlag richtete sich gegen ihren Vater, den damaligen Präsidenten. Hasina befand sich zum Zeitpunkt des Attentats in Europa, danach lebte sie im Exil in Indien. Dort begann ihre politische Karriere und sie wurde zur Parteichefin der Mitte-links- und autoritär agierenden Partei "Awami Liga“ gewählt. Als Oppositionspolitikerin wurde sie mehrmals verhaftet und Opfer von gescheiterten Mordanschlägen.
Wirtschaftlicher Aufstieg durch Kleidungsindustrie
Bangladesch gilt mit seinen über 170 Millionen Einwohnern in Südasien als eine der schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in der Region und überholte sogar Indien. Vor allem die Kleidungsindustrie ist das wirtschaftliche Zugpferd des Landes. Das Pro-Kopf-Einkommen verdreifachte sich in den zwanzig Jahren und hievte laut Schätzungen der Weltbank über 25 Millionen von Menschen aus der Armut.
Der wirtschaftliche Fortschritt passierte allerdings auf Kosten der Demokratie und Menschenrechte. Vor allem in den letzten Monaten griff Hasina ihre politischen Gegner an und ließ laut Medienberichten oppositionelle Gegner festnehmen. Menschenrechtsorganisationen äußerten Besorgnisse zu über 100 Fällen der mutmaßlichen Zwangsverschleppung und außergerichtlicher Hinrichtungen durch Sicherheitskräfte während der Amtszeit Hasinas.
Unter ihrer Führung nahm das Land 2017 eine Million Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar auf. Hasina stellte sich deshalb selbst als "Mutter der Menschlichkeit" dar.
Quotenregelung als Auslöser
Die eigentlich seit 1. Juli von Studenten angeführten Demonstrationen richteten sich ursprünglich gegen eine Quotenregelung im Behördendienst. Die Regelung sicherte seit 1972 ursprünglich Veteranen und deren Familien dreißig Prozent der staatlichen Jobs. Experten sehen die Quotenregelung allerdings als ein System an, das unter dem Deckmantel der Förderung von ehemaligen Militärangehörigen systematisch Regierungstreue bevorzugt. Am 21. Juli wurde das Quotensystem aufgrund der Proteste stark gelockert und öffnete 93 Prozent der Jobs für die Allgemeinheit. Eigentlich wurde das System bereits 2020 abgeschafft, allerdings im Juni dieses Jahres wiedereingeführt.
300 Tote seit Juli bei Protesten
Die Neuregelung tat den Demonstrationen keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die überwiegend friedlichen Proteste entwickelten sich zu zunehmend gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Anhängern der Regierung und der Polizei. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr Bürger den Protesten gegen die Machthaberin Hasina an. Hasina rief Bürger zu Gegenprotesten auf und forderte dazu auf, die Anarchisten "mit eiserner Hand im Zaum zu halten“.
Zehntausende Menschen begaben sich in den vergangenen Tagen auf die Straßen und forderten das Ende der 15-jährigen Herrschaft der Premierministerin Hasina. Dabei wurden Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt. 300 Menschen starben seit Beginn der Demonstrationen Anfang Juli. Die führende bengalischsprachige Tageszeitung Prothom Alo berichtete alleine am Sonntag von mindestens 95 Toten, darunter mindestens 14 Polizisten. Es soll Tausende Verletzte und Zehntausend Festnahmen geben.
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