Auch Istanbul weg: Erdoğan verliert vier der fünf größten Städte
Die AKP hat nach Izmir, Ankara und Antalya auch die Metropole Istanbul verloren. In einem Herzschlagfinale konnte Herausforderer Ekrem Imamoğlu von der linken CHP das Rennen mit 48,79 Prozent der Stimmen für sich entscheiden, Binali Yildirim von der AKP liegt bei einem Auszählungsgrad von mehr als 99 Prozent mit 48,51 Prozent am zweiten Platz. Bereits zuvor hatte der Chef der Hohen Wahlkommission (YSK), Sadi Güven, Imamoğlu zum Sieger erklärt. Die AKP wird Medienberichten zufolge Beschwerde dagegen einreichen - drei Tage hat sie dafür Zeit.
Der türkische Präsident Recep Erdoğan dürfte heute wehmütig an das Jahr 1994 zurückdenken. Damals, vor 25 Jahren errang er den Sieg bei den Kommunalwahlen und wurde Oberbürgermeister der Millionenstadt Istanbul. Es war der Grundstein seiner späteren Politikerkarriere und bereits damals zeichnete sich seine Agenda ab: Auf der einen Seite löste er rasch große Probleme der Stadt – organisierte die Müllabfuhr, errichtete Parks, bekämpfte erfolgreich die Korruption. Andererseits verschwanden Werbeplakate mit leicht bekleideten Frauen, städtische Betriebe durften keinen Alkohol mehr ausschenken.
Erdoğan war damals für die islamistische Nationale Heilspartei (MSP) angetreten, einer Partei, die einen islamischen Gottesstaat predigte. Ihr Gründer, Necmettin Erbakan, verstand sich darauf, der armen Bevölkerung durch Lebensmittelspenden zu helfen und im Gegenzug mehr Frömmigkeit einzufordern. Genau diese Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlten, wählten Erdoğan ins Amt. Mit ihm konnten sie sich identifizieren – er war einer von ihnen. Aufgewachsen im Armenviertel Kasımpaşa fing er ganz unten an.
Umso mehr ist der knappe Wahlausgang eine deutliche Abfuhr für ihn und sein Regierungsprogramm. Auch wenn seine AKP landesweit einen deutlichen Sieg davontragen konnte: In den Großstädten der Türkei begehren die Bürger gegen die wirtschaftliche Lage auf. Die Lira hat massiv an Wert verloren, die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb eines Jahres um rund eine Million und die Inflation um rund 20 Prozent. Lebensmittel wurden besonders teuer.
Hinzu kommen die gebildeteren Bürger der Großstädte, die in Erdoğan einen zunehmend autoritären Politiker sehen, der das ehemals laizistische Land mehr und mehr islamisiert hat. Diese Gegnerschaft und die ärmere Bevölkerung, die sich kaum noch Lebensmittel zu leisten vermag, erhöht den Druck auf den Präsidenten. Bereits bei seinem Referendum vor zwei Jahren über eine Verfassungsänderung, die ihm weitaus mehr Macht zugesteht, hatte er die großen Städte bereits verloren. Es scheint, dass Erdoğan sich seine Niederlage auch eingesteht: „Wir müssen akzeptieren, dass wir da, wo wir gewonnen haben, die Herzen unseres Volkes erobert haben, und da, wo wir verloren haben, nicht erfolgreich genug waren“, sagte er.
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