Asylcamp in Ungarn: "Das hier ist ein Gefängnis"

Menschen sitzen
An der ungarisch-serbischen Grenze in Röszke warten Flüchtlinge eingesperrt ihre Asylverfahren ab.

Eine staubige Schotterstraße führt von der Autobahn zum Asylcamp in Röszke, einem Ort an der ungarisch-serbischen Grenze. Dutzende dunkelblaue Container, die Ungarn nennen sie Baracken, sind von einem hohen Stacheldraht-Zaun umgeben. Überwachungskameras kontrollieren jede Bewegung, Scheinwerfer leuchten das Lager aus. Auf einem riesigen Vorplatz stehen schwere Baumaschinen, das Asylcamp ist noch nicht fertig.

Unmittelbar neben dem Lager beginnt der doppelte Grenzzaun zu Serbien. Bewaffnete Soldaten in Kampfuniform patrouillieren entlang der 155 Kilometer langen Sperranlage. "Der Zaun kann Massen von Menschen stoppen, die illegal eindringen wollen", verkündete Regierungschef Viktor Orbán.

Es kommen nur mehr wenige Flüchtlinge nach Ungarn. An manchen Tagen wird eine Handvoll in das Lager gelassen, die Ungarn bezeichnen das Camp als Transitzone, in der Asylansuchen gestellt werden können. Eingesperrt im Lager warten Flüchtlinge hier ihre Asylverfahren ab. Das Gesetz dafür gilt seit Ende März.

120 Flüchtlinge

Zwei schwere Türflügel öffnen sich lautlos, Polizeiautos fahren ein und aus. Das Camp ist erst seit wenigen Wochen in Betrieb, 120 Flüchtlinge, hauptsächlich aus Afghanistan, leben derzeit hier. Darunter befinden sich viele alleinstehende Frauen mit Kindern. Konzipiert ist das Lager für rund 450 Migranten, Handwerker stellen gerade neue Container auf.

Den Besuchern aus Brüssel, einer Delegation dreier sozialdemokratischer Abgeordneter des Europäischen Parlaments, kommt die Transitzone fremd vor. "Was passiert hier?" – ist die unausgesprochene Frage von Josef Weidenholzer, der Deutschen Birgit Sippel und dem ungarischen Politiker Péter Niedermüller.

Vier Polizisten begleiten die Abgeordneten. Die Stille über dem Lager ist bedrückend, eine afghanische Frau – Mutter von fünf Kindern – blickt scheu zu Boden und schweigt. Die Kinder verhalten sich ruhig, der Spielplatz mit einer Rutsche und einem Sandkasten wirkt unbenützt. Keine einzige Pflanze wächst auf dem Kieselgrund.

Ein Afghane eilt herbei, klammert sich an den Zaun und erzählt verzweifelt, dass der Mann der fünffachen Mutter in Griechenland ermordet wurde. 18 Monate waren sie unterwegs, jetzt warten sie in der Transitzone.

Zwei Asylwerber aus Afghanistan bekamen zuletzt einen positiven Bescheid, erzählt die Anwältin des ungarischen "Helsinki Komitees". Sie berät Flüchtlinge in Röszke. Wir treffen die Juristin am Eingang des Camps, unter dem Arm hält sie schwere Ordner. Sie spricht nicht viel, auch wenn sie viel zu sagen hätte. Nur so viel: "Die ungarische Regierung macht alles, um Flüchtlinge abzuschrecken."

Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sind eingeschüchtert, sie fürchten Denunziationen durch die Regierung und eine existenzielle Bedrohung durch ein neues NGO-Gesetz.

Aus unterschiedlichen Quellen erfahren wir doch einiges. Die Asylwerber dürfen das Lager nicht verlassen. Selbst innerhalb des Camps gibt es kaum Bewegungsmöglichkeiten, die Wohn-Container sind noch einmal umzäunt, auf dem Flachdach befinden sich Stacheldrahtrollen. Arbeiter erzählen, dass das Essen aus der Gefängnisküche von Szeged geliefert wird.

Frauen in Handschellen

Wenn eine Frau erkrankt und zum Arzt muss, werden ihr vor den Kindern Handschellen angelegt, in Begleitung von Polizisten werden sie ins Spital gefahren. "Für Frauen ist das schrecklich, vor den Augen ihrer Kinder abgeführt zu werden", erzählt die Mitarbeiterin einer bekannten internationalen Hilfsorganisation.

Abgeordnete Birgit Sippel ist erschüttert: "Kritische Berichte über die ungarische Flüchtlingspolitik sind bekannt. Aber das hier ist ein Gefängnis. Sogar der Innenhof ist mit Stacheldraht gesichert. Ungarn verstößt gegen sämtliche Werte der EU und internationale Verpflichtungen", sagt die deutsche SPD-Politikerin.

Josef Weidenholzer ist Vizepräsident der Europäischen Sozialdemokraten.

KURIER: Außenminister Kurz lobt in der Süddeutschen Zeitung die Flüchtlingspolitik von Ministerpräsident Orbán. Was sagen Sie dazu nach dem Besuch des Asylcamps in Röszke?

Josef Weidenholzer: Sebastian Kurz lebt in einer Parallelwelt. In Ungarn sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr. Ganz Europa ist besorgt über die Entwicklungen in Ungarn. Orbán will mit diesem Asylcamp nur Stärke nach innen und nach außen demonstrieren. Das Camp ist kein Beitrag zur Lösung der Migrationsfrage.

Was könnte eine Lösung sein?

Auf der Balkanroute sitzen rund 100.000 Flüchtlinge fest. Dieses Problem muss durch eine Verteilung der Flüchtlinge gelöst werden. Das Wichtigste ist, diese Zahl an Flüchtlingen zu reduzieren, weil sie auch ein Sicherheitsrisiko darstellen. Schlepper machen ihre Geschäfte, die Flüchtlinge suchen andere Routen, um von Griechenland nach Zentraleuropa zu kommen. Schlepper versuchenimmer öfter den Weg über die Ukraine zu nehmen.

Verletzt Ungarn mit dem neuen Asylgesetz EU-Recht?

Es gibt genug Substanz für ein Vertragsverletzungsverfahren. Die EU-Kommission sollte rasch tätig werden.

Was macht das EU-Parlament?

Wir fordern Maßnahmen Richtung Artikel 7 (mehrstufiges Rechtsverfahren). Eine Resolution soll Mitte Mai verabschiedet werden. Das Parlament verlangt auch ein Monitoring Ungarns durch eine unabhängige Kommission. Die Häufigkeit und Dichte an Vertragsverletzungsverfahren ist gravierend, systematisch wird EU-Recht gebrochen.

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