Historiker:"Antizionismus gehört in linken Kreisen fast zum guten Ton"
KURIER: Herr Professor, früher standen Burschenschafter mit Schmiss und rechte Recken für Antisemitismus, heute werfen sich Rechtspopulisten von Le Pen bis Meloni für Israel ins Zeug – weil der Muslim der größere Feind als der Jude ist?
Michael Brenner: Ja, das geht ein bisschen nach der Devise „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ – wir sollten von jüdischer Seite da sehr skeptisch sein.
Eine unehrliche Umarmung?
Man kann nicht den Nationalsozialismus verharmlosen und sich gleichzeitig als Freund der Juden gerieren. Und man kann nicht fremdenfeindlich auftreten und sich judenfreundlich geben, das widerspricht sich.
Wo gibt es Judenfeindlichkeit bei Rechtspopulisten in Europa, außer bei der AfD?
Ob es Liederbücher mit NS-Inhalt oder Funde von NS-Material sind, ob es verharmlosende Sprüche oder dumme Witze sind, die Verharmlosung der Naziverbrechen ist in vielen rechtspopulistischen Kreisen deutlich.
Umgekehrt übt sich Greta Thunberg wie viele Linke in massiver Palästinenser-Unterstützung. Bei ihren Veranstaltungen wird Israel Genozid und Apartheid vorgeworfen, „vom Iran bis zum Meer“ skandiert.
Schon im 19. Jahrhundert kann man Antisemitismus in manchen linken Kreisen finden. Gleichzeitig war es natürlich auch immer die Linke, die den Antisemitismus am stärksten bekämpft hat. Aber es ist die extreme Linke, die spätestens seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 Israel als Feindbild entdeckt hat. Ich erinnere nur an den ersten versuchten Terroranschlag gegen das jüdische Gemeindehaus Berlin im November 1969 von einer Vorläufergruppe der späteren RAF, den Tupamaros West-Berlin.
Europäische Linksterroristen dieser Zeit wurden in den Lagern der PLO ausbildet.
Genau. Man hat in den Palästinensern die Unterdrückten gesehen und in den Israelis bzw. den Juden die Unterdrücker. Das kam insofern gelegen, als die früheren Opfer nun auch die Täter waren.
Sie haben einmal gesagt, viele 68er haben sich von der Nazi-Vergangenheit ihrer Väter distanziert, indem sie sagten, wir können sogar ohne schlechtes Gewissen auch gegen Israel sein.
Ich bin nicht der erste, der das sagt. So eine Art Freisprechung, indem man sich mit den Opfern der Israelis identifiziert und damit selbst eine Opferrolle einnimmt, das spielt im Unterbewusstsein schon eine Rolle. Eine Art Umkehrung der Opfer-Täter-Rolle sozusagen.
Noch einmal zurück in die Geschichte: Die Grundlage von linkem Antisemitismus war der Hass auf den Kapitalismus?
Karl Marx, der aus einer jüdischen Familie stammt, aber als Kind christlich getauft wurde, hatte in seiner Schrift „Zur Judenfrage„ 1844 schon antisemitische Töne angeschlagen, die in dieser Zeit in Deutschland und Frankreich unter den Frühsozialisten präsent waren – vor allem die Familie Rothschild wurde mit den Juden gleichgesetzt und an den Pranger gestellt. Heute ist Soros wieder so ein Feindbild, allerdings bei den Rechten.
Aber dieser Antisemitismus hat sich nicht linear bis in die 68er und heute durchgezogen – da hat es schon viele Brüche gegeben?
Da gab es viele. Es ist ja immer die Frage, was man als Linke bezeichnet. Es gab in der Tradition des Staatskommunismus viele antisemitische Strömungen, durch Stalin etwa, das hat sich Anfang der 50er-Jahre über die Tschechoslowakei bis in die DDR fortgesetzt. Aber es gibt in der Linken auch den Kampf gegen den Antisemitismus, gerade im Westen, wo sich die Sozialdemokratie dazu verschrieben hat.
Der Antisemitismus aus dem Osten hatte damit zu tun, dass Israel als Teil des Westens gesehen wurde?
Ja. Interessanterweise hat die Sowjetunion 1947 mit der UNO noch für den Teilungsplan und die Entstehung Israels gestimmt, aber als sich abzeichnete, dass Israel doch eher dem Westen zuzurechnen war, fuhr man einen stark antiisraelischen Kurs.
Und der Antisemitismus, der heute bei jungen Linken auftaucht?
Es gibt Antizionismus (Kritik bzw. Bestreitung des Existenzrechtes Israels, Anm.) so als Art kulturellen Code: Es ist in gewissen linken Kreisen nicht nur legitim, sich antizionistisch zu äußern, sondern es gehört fast zum guten Ton. Es ist ja legitim, sich für die Palästinenser einzusetzen, das tun übrigens auch viele Israelis, aber interessanterweise setzt sich kaum jemand für andere Unterdrückte ein wie die Armenier zum Beispiel. 100.000 wurden gerade vertrieben, wo sind da die Straßenproteste?
Oder bei Zigtausenden arabischen Opfern durch den IS oder Assad ...
Ganz genau.
Warum wird Israel immer mit anderen Maßstäben gemessen als jedes andere Land der Welt, was die Einhaltung von Menschenrrechten etc. betrifft?
Israel als Heiliges Land für Christen, Juden und Muslime hat immer schon sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, das überträgt sich auch auf säkulare Kreise. Israel ist eine Demokratie, aus der wird mehr berichtet als aus dem Iran, Sudan oder Jemen. Die Ablehnung Israels aus der arabischen Welt hat natürlich auch international einen Einfluss. Und die Verantwortung, die man etwa in Deutschland und in Österreich für die Entstehung Israels trägt, hat man indirekt auch für die, die einen Preis dafür zahlen mussten, die Palästinenser.
Was die arabische Welt betrifft: Da gab es ja eine zunehmende Annäherung mit Israel, etwa in den Emiraten und Saudi Arabien.
Was mit ein Grund für den Überfall der Hamas gewesen sein dürfte.
Wie verbreitet ist denn Antisemitismus noch in europäischen Gesellschaften – lassen wir muslimische Zuwanderer zunächst einmal weg?
Das „noch“ würde ich auch weglassen – ich würde sagen „wieder“. Und das hat abgesehen von Israel mit dem Erstarken des Rechtsextremismus zu tun. Eine Partei wie die AfD ist in ihrem Kern antisemitisch – nicht alle Wähler sind es, aber die Partei. Und da sehe ich Ansätze einer Bedrohung jüdischen Lebens, zumindest in Deutschland.
Und da kommt nun der muslimische Antisemitismus in Europa dazu. Ist das die noch größere Gefahr?
Ich würde zunächst davor warnen, das Erstarken des Antisemitismus in Europa nur auf die Einwanderung aus den arabischen Ländern zu reduzieren, wie das teilweise von Rechtspopulisten geschieht. Aber wahr ist auch, dass dieser muslimische Antisemitismus von linker Seite oft verharmlost wird, als ob es den gar nicht geben würde. Natürlich gibt es den unter Einwanderern aus arabischen Ländern, weil es für die von der Schule bis zur Staatspropaganda dazu gehörte. Oft wird dabei nicht unterschieden zwischen Israelis und Juden.
Die Araber waren aber auch nicht immer antijüdisch.
Es gab auch Zeiten, in denen Muslime die Juden verteidigt und aufgenommen haben, die aus christlichen Ländern wie Spanien und Portugal im 15. Jahrhundert vertrieben wurden. In Bagdad war bis 1950 ein Viertel der Bevölkerung jüdisch.
Nach der Staatsgründung Israels hat sich das geändert.
Ja. Die irakischen Juden wurden 1950/51 vertrieben.
Die Demos in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich, wo immer wieder zu Vernichtung Israels aufgerufen wird – macht Ihnen das Angst?
Ja, man muss Angst um die Existenz Israels haben, wenn man gesehen hat, wozu Radikalismus und religiöser Fanatismus fähig ist und wenn man weiß, dass dahinter eine Macht wie der Iran steht.
Und als Jude in Europa?
Wenn ich sehe, wie viele Menschen auf die Straße gehen, die sich nicht nur mit den Palästinensern, sondern auch mit der Hamas solidarisieren, dann muss einem um die Existenz der jüdischen Gemeinden bange werden.
Droht sich das zu verbreiten in der muslimischen Community?
Ja, aber es ist auch Teil der Aufnahmegesellschaft: Wenn sie sich nicht willkommen und integriert fühlen, wenn der Ausländerhass und die Islamophobie wächst, dann werden sie weiter in diese Ecke getrieben.
Eine Doppelmühle.
Genau, oder besser: ein Teufelskreis.
Wie dem Antisemitismus begegnen.
Polizeilich und juristisch allein wird nicht reichen. Es muss über die Erziehung gehen – und das ist nicht leicht, weil es gegen das, was einem vor allem als junger Mensch politisch als richtig oder opportun eingeimpft wird, immer ein Rebellieren gibt, nicht nur unter Muslimen. Es kommt also nicht darauf an, dass man diese Erziehung macht, sondern wie man sie macht.
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