Timna Brauer: "Mein Herz ist in Israel"
Ihre Seele, sagt sie, gehört Israel. Und sie lebt vier Monate des Jahres mitten im arabischen Viertel von Jaffa bei Tel Aviv: Timna Brauer, Sängerin, vielseitige Künstlerin und Tochter des großen österreichisch-jüdischen Malers Arik Brauer, ist die Verkörperung von Völker- und Kulturenverbindung und spricht mit dem KURIER auch über das große Leid und das Leiden an dem, was in Israel gerade passiert.
KURIER: Frau Brauer, was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Überfall auf Israel erfuhren?
Timna Brauer: Ich konnte es nicht glauben, ein Alptraum. Weil es so etwas in der Form noch nicht gegeben hat. Unter dem Nationalsozialismus schon, oder in Russland unter den Pogromen, nicht im jüdischen Staat.
Haben Sie gleich gewusst, dass das nicht „übliche“ Hamas-Attacken sind, sondern diese Dimension hat?
Meine Schwester hat mich letzten Samstag in der Früh angerufen und gesagt: „Du kannst Dir nicht vorstellen, was hier los ist. Es ist die Hölle.“
Ihre Schwester lebt in Israel?
Ja, Talya lebt in Ein Hod, einem Künstlerdorf im Norden. Sie hat vier Kinder, Michael ist jetzt in eine Eliteeinheit eingerückt, statt am Freitag seine Hochzeit zu feiern. Und Amalie, die Jüngste, deren Vater ein arabischer Israeli ist, dient gerade in der Armee und bildet Panzerfahrer aus – jetzt wird sie im Schnellkurs für den Krieg ausgebildet.
Haben Sie sich vorstellen können, dass so etwas passiert?
Nein. Man wusste immer, dass der nächste Krieg kommen wird, aber mit einem solchen Blutbad in der zivilen Bevölkerung mit enthaupteten Babys hat niemand gerechnet.
Der Geheimdienst wurde überrumpelt, das Militär reagierte spät. Können Sie sich das erklären?
Das hat viele Faktoren. Aber das Militär war geschwächt, weil die Moral immer mehr gesunken ist.
Warum?
Unter anderem wegen der Justizreform. Die Elite des Militärs sind ausgebildete Akademiker, die Vieles nicht mehr zulassen und nicht ihr Leben für so ein Land geben wollen.
Für so ein Land?
Ein Land, in dem die Demokratie gefährdet ist. Reservisten kündigten seit den letzten Wahlen an, nicht mehr einrücken zu wollen. Jetzt gilt aber der Schulterschluss, das wird das Land retten.
Wieso hat die Regierung die Gefahr aus Gaza unterschätzt?
Sie hat sich nur um die fanatischen Siedler im Westjordanland gekümmert. Das Laubhüttenfest der Ultraorthodoxen bei Hebron wurde geschützt, aber im Süden, bei Gaza waren viel zu wenig Soldaten.
Hat Israel die Palästinenser zu lange am langen Arm „verhungern“ lassen? Oder hat das, was die Hamas macht, gar nichts mit dem Palästinenserproblem zu tun?
Die Hamas benützt das palästinensische Problem für ihre Zwecke, benutzt die Zivilbevölkerung als Schutzschild. Was sie plant, ist nicht die Befreiung des Volkes, sondern ein Kalifat im Nahen Osten. Der Konflikt zwischen Juden und Arabern im Heiligen Land hat aber schon Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, es gab immer schon jüdische Gemeinden vor Ort, Einwanderungen. Sie wollen uns dort nie haben, es geht nicht nur um Land. Gaza ist von den Israelis abhängig, aber nicht besetzt. Befreien sollte man die Palästinenser vorrangig von der Hamas.
Den Palästinensern nützt das Vorgehen der Hamas nichts.
Für die palästinensische Sache war der Überfall der Hamas auf Israel eine Katastrophe, aber das war kalkuliert. Zumindest heuchelt die Hamas nicht etwas vor, wie so manche andere Diktatoren, sie sagen jeden Tag ganz klar: Unser Ziel ist es, Israel auszulöschen.
Um die palästinensische Sache ging es Israels Regierung aber auch nie.
Angeblich hat Premier Netanjahu Tonnen von Geldern von Katar in die besetzten Gebiete und nach Gaza durchgehen lassen und zugelassen, dass die Hamas gestärkt wird.
Mit welcher Absicht?
Er war nie an Verhandlungen interessiert. Er wollte die Hamas gegenüber der Autonomiebehörde im Westjordanland stärken, weil es klar war, dass sie kein Verhandlungspartner ist. Jetzt fällt es ihm auf den Kopf, er ist erledigt. Aber Israel hat er ins Verderben gestürzt.
Sie haben vor 20 Jahren das israelisch-palästinensische Chorprojekt „Voices for Peace“ gemacht. Wie hat das funktioniert?
„Voices for Peace“, mit einem muslimisch-christlichen Chor aus Nazareth und einem aus Tel Aviv, war womöglich der Höhepunkt meiner Karriere, vor allem emotional, bis heute sind beide Gruppen verbunden. Wenn sie nur wollen, können alle Menschen miteinander. Solche Initiativen gelingen immer wieder, aber nur mit Menschen, die sich mit der Existenzberechtigung des Staates Israel abgefunden haben und die Vorteile für sich darin sehen. Wenn sich dieser Paradigmenwechsel im Kopf vollzieht, dann ist alles möglich, alles!
Das Projekt ging mit Arabern?
In Israel und in einzelnen Fällen in Gaza und im Westjordanland gibt es Araber, mit denen das wunderbar geht. Aber oft ist das für sie ein Risiko, im besten Fall sind sie „Verräter“ aber es kann gefährlich werden, der Druck ist enorm. Für mich sind sie Helden. Die jüdische Seite, die in einer offenen Gesellschaft lebt, hat es viel leichter, Friedensinitiativen zu setzen. Der Hass gegen „Al Jahud“, den Juden – der Begriff „Israeli“ kommt nur den Wenigsten über die Lippen – wird vom Kindesalter an mit Gehirnwäsche geschürt, Kinder in Gaza glauben tatsächlich, dass Juden drei Beine und drei Arme haben.
Sie leben vier Monate des Jahres in Jaffa im muslimischen Viertel – warum, und wie geht es der Enkelin eines jüdischen Schuhmachers und Tochter einer Israelin aus dem Jemen dort?
Jaffa gehört praktisch zu Tel Aviv, der Teil Adjami ist eine andere Welt. Ausland im Ausland. Ich wollte ans Meer, und Jaffa ist wie ein Dorf am Meer. Und es erinnert mich emotional sehr an das jemenitische Viertel der 1960er und -70er meiner Großeltern, in dem ich auch groß geworden bin – dieselben Typen, verschleierte Frauen, meine Großmutter war verschleiert, obwohl sie Jüdin war, eine ähnliche Mentalität.
Stimmt es, dass Ihr Großvater Kutscher Herzls in dem Viertel war?
Er hat Theodor Herzl bei dessen Palästina-Reise 1898 durchs Land kutschiert. Und später kam mein Vater, sein Schwiegersohn, auch hierher – so laufen die Fäden zusammen.
Und jetzt sind Sie dort …
Der dritte Grund ist trotz aller Vorbehalte ein gewisses Faszinosum für die arabische Welt: Ich will die sogenannten Feinde näher kennen lernen und verstehen. Das ist eine Fortsetzung von „Voices for Peace“ für mich. Ich gehe ständig in den Dialog, übe mich im Zuhören, ohne zu urteilen, nicht leicht.
Und wie ist der?
Sehr spannend. Es wird über alles, meistens mit Frauen, sehr direkt und offen diskutiert. Sie erzählen mir die intimsten Familiengeschichten. Die meisten scheinen so sehr in ihrer Mitte zu sein und sind von ihrer unemanzipierten Lebensart so überzeugt, ich staune immer wieder. Ich selber bin für sie ein Rätsel, eine Frau, die alleine lebt – wie geht das? Aber das einzige was sie über mich wissen wollen, ist, ob ich Kinder habe, sonst stellen sie niemals Fragen an mich. Ich nehme aber nicht immer alles, was sie mir erzählen, für bare Münze, Pathos und Fantasie gehören zu dieser Kultur.
Haben Sie dort Freunde?
Ich habe sehr viele Freunde in Israel und in Tel Aviv, ich habe mich ja mit 18 zwei Jahre freiwillig zum Militär gemeldet.
Als Österreicherin?
Mit einer israelischen Mutter ist man auch Israelin. 1979 bis 1981 war ich beim Militär, u. a. auf den Golan-Höhen vor dem Libanon-Krieg. Ich war als Sängerin in der Armeeband unterwegs, es waren meine ersten Erfahrungen auf der Bühne. Und dort habe ich den letzten Schliff an Israelitum bekommen.
Danach wollten Sie nicht in Israel bleiben?
Ich wollte in Frankreich leben, dort habe ich auch Musik und Gesang studiert. Und ich wurde 1986 überraschend vom ORF gerufen, für Österreich am Song Contest teilzunehmen – erst viel später bin ich drauf gekommen, dass ich das Feigenblatt war, eine Jüdin am Höhepunkt der Waldheim-Affäre, die für Österreich auftritt. Dementsprechend bekam ich kaum Punkte (18. Platz; Anm.). Und dann bin ich in Wien „picken“ geblieben, obwohl mein Lebensplan Frankreich war und ich dort schon einen Durchbruch in der Jazzszene hatte.
Zurück nach Jaffa: Wie ist dort die Stimmung gegenüber Israel?
Gerade entsteht eine Initiative: „Wir schützen uns gegenseitig“, Juden und Araber scheinen sich zu verbinden, wunderbar! Die Bewohner von Adjami in Jaffa sind gut in Israel integriert, aber es ist trotzdem ein heißes Pflaster, weil es hier 1948 viel Flucht und Vertreibungen gegeben hat. Viele finden es verrückt, dass ich es wage, dort zu leben. Aber ich fühle mich sicher, auch in der Nacht, wenn ich mit dem Fahrrad nach Hause komme. Aber wirkliches Vertrauen habe ich trotzdem nicht. Hier kann sich jederzeit alles umkehren, ich bleibe für sie „die Jüdin“.
Israel wird oft vorgeworfen, ein Apartheidregime zu führen.
Apartheid war in Südafrika (Trennung von Weißen und rechtlosen Schwarzen; Anm.), für Israel abseits der Palästinensergebiete ist der Vorwurf absurd. Es mag viel Unrecht geben, aber es gibt so viele Chancen für arabische Israelis. Mein arabischer Vermieter sagt immer: Das Land, wo es Arabern am besten geht, ist Israel. Überall anders sind Diktaturen, hier können sie z. B. homosexuell sein, sich frei ausdrücken, sie sind frei.
In Wien und Paris aufgewachsen, in Wien und Israel zu Hause – wo ist Ihre Seele zu Hause?
Na in Israel! Meine Kultur und Sozialisation ist europäisch, frankophil und wienerisch. Ich würde nie ganz nach Israel ziehen, ich fühle mich hier in Wien sehr wohl. Aber mein Herz ist in Israel. Das hat mit meinen orientalischen Wurzeln zu tun, und ich trage als erste Generation von Holocaust-Überlebenden dieses Trauma mit – mein erster Name ist Simcha, der Name von meinem ermordeten Großvater väterlicherseits und bedeutet „Freude“.
Haben Sie Angst?
Selbstverständlich, auch wenn ich ein sehr optimistischer Mensch bin. Ich mache mir um meinen Neffen und meine Nichte in der Armee Sorgen. Und was mir schon lange Angst macht, ist, dass wir in Europa immer weniger frei über unsere Ängste sprechen können. Man wird bei heiklen Themen schnell als Rassist oder rechtsradikal abgestempelt.
Zum Beispiel?
Es gibt zu viele Menschen, die unsere zarte Demokratie ausnutzen, um sie auszuhebeln und fanatische Parallelgesellschaften gründen.
Zur Person
1961 als Tochter des Malers Arik Brauer und seiner jemenitisch-israelischen Frau in Wien geboren, wuchs Timna Brauer in Paris, Wien, Israel auf. Promotion an der Sorbonne über Jazz, lebt in Wien, Paris, Tel Aviv, 2 Kinder. Erste Erfolge in Paris als Jazzsängerin, Song- Contest-Teilnahme für Ö. ’86. Intern. Karriere mit Musikern aus allen Ecken des Globus. Chanson, Crossover, Kinderprogramme. Jüdische Musik, Begegnungen mit arab. Künstlern, Zisterziensermönchen Heiligenkreuz. Bildende Kunst, Bücher, Leitung Kunstsammlung ARIK BRAUER
Kommentare