Israelische Soldaten und Panzer in Gaza: Warum der Häuserkampf die Hölle ist

Israelische Soldaten und Panzer in Gaza: Warum der Häuserkampf die Hölle ist
Die Bodenoffensive gegen den Gazastreifen steht laut Beobachtern kurz bevor. Die Verluste dürften auf beiden Seiten immens werden, der Kampf in bebauten Arealen gilt als der blutigste – kein Gebiet ist bebauter als Gaza.

Israelische Soldaten und Panzer im Gazastreifen, Sirenenalarm - dann Entwarnung: 

"Im Laufe des Tages führten die IDF Angriffe im Gazastreifen durch, um die Bedrohung durch Terroristen und Waffen in dem Gebiet zu beseitigen und Geiseln zu finden. IDF-Soldaten durchsuchten das Gebiet und sammelten Beweismaterial, das bei der Suche nach den Geiseln helfen sollte. Darüber hinaus vereitelten die IDF-Soldaten terroristische Zellen und Infrastrukturen in dem Gebiet, darunter eine Hamas-Zelle, die Panzerabwehrraketen auf israelisches Gebiet abfeuerte", gaben die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) am Freitagabend bekannt.

Die erwartete Bodenoffensive war das noch nicht. 

Enge Häusergassen, Tunnelsysteme, potenzielle Sprengfallen und Hinterhalte in jedem Winkel, an jeder Ecke. Geschätzt 40.000 Kämpfer, die erbitterten Widerstand leisten werden – und das Gebiet trotz der massiven Bombardements der vergangenen Tage kennen.

Die Bodenoperation, auf die sich die IDF seit Tagen vorbereiten, dürfte ein Kampf um jeden Meter werden, die Verluste groß. Gilt am „freien Feld“ die Faustregel, wonach der Angreifer eine Überlegenheit von 3:1 benötigt, so liegt sie im Kampf im urbanen Gebiet bei 5:1. Mindestens. Für die israelischen Streitkräfte kommt erschwerend hinzu, dass sich die Hamas seit Jahren auf die Verteidigung des Gazastreifens vorbereitet. Das weitaus größte Problem wird jedoch die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten sein – die Terroristen der Hamas werden es tunlichst vermeiden, Uniformen oder gar Rangabzeichen zu tragen.

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"Wir werden sterben und nicht gehen"

Vielmehr werden sie sich unter die Zivilisten mischen, die den Gazastreifen nach wie vor nicht verlassen können. Damit ist auch die Anordnung Israels von Freitagfrüh zu verstehen, wonach mehr als eine Million Palästinenser in den Süden des Gazastreifens flüchten sollen. Schon allein an der Logistik würde dieses Unterfangen – selbst wenn es die Zivilisten wollten – mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Obendrein machte die Hamas klar: „Wir werden sterben und nicht gehen.“ Auch die Moscheen riefen die Menschen dazu auf, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Der Unterscheidungsgrundsatz – ein wichtiger Punkt im humanitären Völkerrecht – kann somit nur schwer wahrgenommen werden.

Israelische Soldaten und Panzer in Gaza: Warum der Häuserkampf die Hölle ist

Zivilisten als Schutzschild

Viele Zivilisten, als menschliche Schutzschilde der Hamas fungierend, werden bei einer Bodenoperation ums Leben kommen. Nach wie vor ist der Gazastreifen abgeriegelt, auch von ägyptischer Seite. Gleichzeitig sperrt Israel seit Tagen die Wasser-, Strom- und Gasversorgung und macht die Freilassung der mehr als einhundert Geiseln zur Bedingung für ein Ende der Blockade.

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Doch warum will Israel am Boden in den Gazastreifen eindringen? „Alles andere als eine Invasion wäre ein schwerer Fehler. Wir müssen Gaza erobern, oder zumindest den größten Teil davon, und die Hamas zerstören. Wir können nicht so weitermachen wie bisher, denn das funktioniert nicht“, sagte Amir Avivi, ehemaliger stellvertretender Kommandeur der Gaza-Division des israelischen Militärs, der Financial Times.

Die letzte Bodenoperation im Gazastreifen führte Israel im Jahr 2014 durch, um das geschätzt 170 Kilometer lange Tunnelnetz der Hamas zu zerstören. 67 israelische Soldaten und – laut UNHCR – 2.251 Palästinenser starben. Zwar konnten die IDF einige Tunnel zerstören und die Hamas schwächen, allerdings war dies nicht von langer Dauer.

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Bis Samstag vergangener Woche versuchten die Israelis, neue Bodenoperationen zu vermeiden – man verließ sich vor allem auf die Raketenabwehrsysteme wie „Iron Dome“. Doch der blutige Angriff lässt der israelischen Regierung nur noch wenig andere Möglichkeiten offen, will sie tatsächlich „die Hamas ein für alle Mal vernichten“.

Zur Vorbereitung für eine Bodenoffensive dient unter anderem das Übungsgelände „Mini-Gaza“. Ein Areal, errichtet auf 24 Hektar, das all die engen Gassen, Tunnel, verwinkelten Häuser beinhaltet, die sich auch in Gaza – dem am dichtest verbautem Gelände der Welt – finden. Oberst Markus Reisner, Gardekommandant des Österreichischen Bundesheeres, sieht den Beginn eines Einmarsches am Boden folgendermaßen: „Erst werden Sektoren definiert und isoliert, ehe Bodentruppen vordringen. Mit Bulldozern, die Häuser, Trümmer oder Zäune umschieben, sodass man nicht auf der Straße vorgehen muss“, erklärt er.

Und auch wenn eine solche Bodenoperation erfolgreich sein sollte – Israel müsste den Gazastreifen kontrollieren, wenn es einen Wiederaufstieg der Hamas oder des Hamas-Konkurrenten „Islamischer Dschihad“ verhindern will. Einmal mehr wäre es kaum möglich, Zivilisten von Terroristen zu unterscheiden.

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