Polizei sucht "Mann in Schwarz"

Polizei sucht "Mann in Schwarz"
Bei den Explosionen in Boston sind drei Menschen getötet worden - die Täter werden unter Rechten oder Islamisten vermutet. Obama spricht von einem "Terrorakt".

Bei dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon am Montag sind mindestens drei Menschen getötet worden. Bis zu 170 Menschen wurden verletzt, mindestens 17 davon schwer. Die Hintergründe blieben zunächst unklar - US-Präsident Barack Obama hat den Anschlag allerdings als "Terrorakt" eingestuft.

Die Behörden - Polizei und Geheimdienste - ermitteln in zwei Richtungen: Ein Anschlag von regierungsfeindlichen Gruppen aus dem Inland oder radikale Islamisten. Wie die Nachrichtenagentur Reuters von Ermittlungsbeamten erfuhr, würde der Zeitpunkt für einen Angriff von einheimischen Radikalen sprechen, die die Macht des Staates zurückdrängen wollen. In den USA werden derartige Gruppen als "right-wing extremists" dem rechten politischen Spektrum zugeschlagen, ohne dass es sich notwendigerweise um Neo-Nazis oder Rechtsradikale nach europäischem Verständnis handeln muss.

Die Bostoner Polizei soll außerdem nach einem „Mann in Schwarz“ fahnden. Er soll kurz vor den Explosionen nahe dem Tatort gesehen worden sein. Zudem wurde die Wohnung eines Mannes vom Bombenkommando durchsucht, der zur gleichen Zeit in seinem Auto aufgehalten wurde. Ein dritter Mann – angeblich aus Saudi-Arabien – wird außerdem im Krankenhaus behandelt und von der Polizei bewacht, nachdem er von einem Zivilisten, der sein Verhalten kurz nach den Explosionen für auffällig befand, zu Boden geworfen wurde.

Polizei sucht "Mann in Schwarz"
Streckenverlauf des Boston-Marathon, Zeichnung des Zielbereichs mit Ort der Anschläge Grafik 0515-13-Terrorismus.ai, Format 88 x 98 mm
Die Federführung bei den Ermittlungen übernahm die US-Bundespolizei FBI. "Das sind strafrechtliche Ermittlungen und mögliche Terrorermittlungen", sagte der leitende FBI-Agent Rick DesLauriers, nannte aber keine Details. Berichte von US-Medien, dass mehrere nicht detonierte Sprengsätze entdeckt und unschädlich gemacht worden seien, bestätigte er nicht.

Gegenüber der Boston Herald sagte der FBI-Mitarbeiter Kevin G. Miles, die Anschläge hätten „spielend leicht“ von einer einzigen Person verübt worden sein. „Man würde ein etwas Koordination, Know How und Intelligenz brauchen, aber viele Bomber in der Geschichte waren Einzeltäter“. Für einen Attentäter wäre es beim Marathon zudem ein Leichtes gewesen, sich unauffällig in der Menge zu bewegen.

Am Montag wurde in Massachusetts der Patriots' Day begangen, der an den Unabhängigkeitskrieg erinnert. In dieser Woche - am 19. April - nähern sich zudem zwei Jahrestage mit symbolischer Bedeutung: Das gewaltsame Ende der Waco-Belagerung 1993 in Texas und der Anschlag in Oklahoma City 1995, bei dem knapp 170 Menschen ums Leben gekommen sind.

Islamische Extremisten

Als zweite Theorie wird den Insidern zufolge eine direkte oder indirekte Verbindung zu islamischen Extremisten diskutiert. Hierfür spräche die Vorgehensweise, sagten hochrangige Ermittler Reuters. Die Zündung von zwei Sprengsätzen kurz hintereinander bei einem Großereignis sei die Art von Angriff, die vom Islamisten-Magazin "Inspire" propagiert werde. Die Zeitschrift wird im Internet von der Gruppe Al-Kaida im Jemen verbreitet. Sie enthält englischsprachige Aufrufe an Muslime im Westen, Angriffe selbst mit bescheidenen Mitteln auszuführen. In einer der jüngsten Ausgaben war eine detaillierte Anleitung zum Eigenbau und Einsatz von Sprengsätzen enthalten.

Explosionen nahe Ziellinie

Die Explosionen ereigneten sich um 14.50 Uhr (Ortszeit, 20.50 Uhr MESZ) im Abstand von etwa 15 Sekunden nahe der Ziellinie des Bostoner Marathons. Die Spitzenläufer waren schon längst im Ziel. Unter den Toten soll einem Medienbericht zufolge auch ein achtjähriger Bub sein. Der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, sprach von mehreren Schwerverletzten. Verletzte wurden von Sanitätern in Zelten versorgt, die an sich für die Betreuung der rund 27.000 Teilnehmer des Marathons eingerichtet worden waren.

Massive Polizeipräsenz auf Bostons Straßen

Nach den Anschlägen bleiben die Geschäftsstraßen in unmittelbarer Umgebung der beiden Detonationen in Boston abgesperrt. Das kündigte Gouverneur Deval Patrick am Dienstag an. Spezialisten suchen am Tatort weiter nach Indizien, die auf die Urheber der Anschläge hindeuten könnten. Überall sei mit massiver Polizeipräsenz und Sicherheitskontrollen zu rechnen, unter anderem im öffentlichen Nahverkehr, teilte das Amt von Bürgermeister Thomas M. Menino mit. "Wer zur Arbeit geht, wird eine deutlich stärkere Polizeipräsenz sehen. Niemand sollte wegen der Nationalgarde und anderer bewaffneter Beamten alarmiert sein", hieß es in der Mitteilung.

Die Polizei rief die Bewohner Bostons auf, zu Hause zu bleiben. Die U-Bahn stellte ihren Betrieb ein. Auch das Mobilfunknetz der Stadt wurde abgeschalten, um Fernzündungen zu vermeiden. Die Bostoner Polizei dementierte Medienberichte, wonach ein Verdächtiger festgenommen worden sei. Es seien aber mehrere Menschen vernommen worden. Über der Stadt mit 625.000 Einwohnern wurde zunächst eine Flugverbotszone eingerichtet.

"Terrorakt"

Das Weiße Haus geht davon aus, dass die beiden Sprengstoff-Attentate ein Terroranschlag waren. US-Präsident Barack Obama vermied in einer Erklärung allerdings den Begriff "Terrorismus". In einer kurzen Rede im Weißen Haus bot Obama seine volle Unterstützung für die Ermittlungen und die Rettungsmaßnahmen an. Ließ sich aber nicht auf eine Bewertung des Vorfalls ein. Das Präsidialamt wertete die Tat allerdings als "Terrorakt", auch ohne Hintergründe zu kennen. "Jeder Vorfall mit mehreren Bomben - und das scheint hier der Fall zu sein - ist klar ein Akt des Terrors", sagte ein ranghoher Beamter. Schnell wurde in US-Medien der Vergleich mit 9/11 gezogen. Es war der erste tödliche Bombenanschlag in den USA seit 2001.

Der Boston-Marathon ist der weltweit älteste jährlich veranstaltete Marathon. Eine prestigeträchtige Veranstaltung internationalen Ranges. Dieses Jahr hatte er mit 26 Schweigesekunden an der Startlinie für die 26 Todesopfer der Schießerei in Newtown in Connecticut im Dezember des Vorjahres begonnen.

Es ist alles so schnell gegangen. Ich habe die Läufer beobachtet und wollte meinen Mann in Empfang nehmen. Auf einmal gab es einen riesigen Knall und eine weiße Wolke ist aufgestiegen.“ In den schrecklichen Sekunden des Bostoner Marathons stand Doris Korcak nur 200 Meter hinter der Ziellinie. Ihr Mann sollte sie nicht überqueren. Thomas Korcak wurde 600 Meter vorher gemeinsam mit Hunderten anderen Läufern von der Polizei gestoppt.

Das Grazer Ehepaar blieb unverletzt. „Ich habe die Explosion nicht einmal gespürt. Nur gesehen. Auf einmal sind alle schreiend in meine Richtung gelaufen. Die Polizei hat hin und her geschrien, sie erwarten noch mehr Bomben“, schildert Doris Korcak. „Mein erster Gedanke war, irgendetwas muss ich jetzt tun. Ich bin die Strecke abgegangen, aber habe meinen Mann nicht gefunden.“

Das Handynetz war zu diesem Zeitpunkt deaktiviert, das Gebiet abgeriegelt. „Es sind viele Angehörige herumgelaufen und haben Namen geschrien. Als ich wieder denken konnte, habe ich angefangen zu rechnen. Irgendwann war ich mir sicher: Es ist zu früh. Mein Mann war noch nicht an der Unglücksstelle“, erzählt Korcak. Erst drei Stunden später konnte sie ihn im Hotel endlich wieder in die Arme schließen.

Andrea und Thomas Simeth aus Wals bei Salzburg sitzen am Dienstag in ihrem Hotel vor dem Fernseher und schauen Nachrichten. In 3:53 Stunden absolvierten die 47-Jährigen ihren ersten Boston Marathon – alles unwichtig, angesichts der Ereignisse am Montag. „Uns geht’s gut. Wir sind eine Viertelstunde vor dem Anschlag ins Ziel gekommen“, erzählt Andrea Simeth. Die beiden waren auf dem Weg zur Gepäckrückgabe, als die beiden Bomben hochgingen, 300 Meter vom Ehepaar entfernt.

Ein Unfall?

„Rauch ist aufgestiegen. Aber niemand hat realisiert, was gerade passiert ist. Wir haben gedacht, das war ein Unfall.“ Angst hatte Simeth nicht; auch Panik habe es keine gegeben. „Polizisten haben Straßen abgesperrt und ein Haus evakuiert, aber es ist total ruhig abgelaufen“, berichtet Simeth. „Es ist unvorstellbar. Es war so eine tolle Stimmung. Man läuft durch friedliche Orte, Menschen sitzen vor den Häusern, und es spielen Bands. Wer ist so wahnsinnig und missbraucht so ein Sportevent?“

Die fröhliche, tolle Stimmung vor dem Anschlag beeindruckt auch die routinierten Marathonläufer Norbert Albrecht (72) aus Enns und seinen Freund Franz Hofer (52) aus Ernsthofen. „Es ist traurig, dass eine derart lustige und freudvolle Veranstaltung ein solches Ende nimmt. Die Betroffenen haben mein Beileid“, sagt Hofer leise. „Ich wage gar nicht zu denken, was passiert wäre, wenn die Bomben wo anders platziert gewesen wären – etwa bei der riesigen, bis zum letzten Platz gefüllten Tribüne kurz vor dem Ziel.“

Hofer war zehn Minuten vor dem ersten Knall ins Ziel eingelaufen – „und damit im sicheren Bereich“. Sein Läuferfreund Albrecht wurde einige Hundert Meter vor dem Ziel in eine Seitenstraße manövriert. „Ich hatte keine Ahnung, was los ist. Dann riefen Leute ,the bomb, the bomb‘! Ununterbrochen jaulten die schrillen Sirenen von Rettung, Polizei, Feuerwehr. Innerhalb kürzester Zeit waren überall schwer bewaffnete Soldaten positioniert.“

Josef Egger, Reiseleiter von „Runners unlimited“ aus Vösendorf, steht knapp vor der Ziellinie, als die Bomben hochgehen. Seine Sorge gilt zehn Läufern aus Österreich, die beim Marathon unterwegs sind – darunter Hofer und Albrecht. „Von vier wusste ich nicht sofort, wo sie sind.“ Es dauerte, bis von allen die Entwarnung kommt: „Wir waren unglaublich froh, alle wohlbehalten wiederzusehen. Das wahre Ausmaß erfuhren wir aber erst später.“

Späte Erleichterung

Helmut Kastl aus Lasberg (OÖ) war längst im Ziel, als es passierte. Wegen einer Zerrung fuhr er dann gleich mit seiner Frau zurück ins Hotel. „Die Stadt befindet sich noch immer im Ausnahmezustand“, sagt der 51-jährige voestalpine-Mitarbeiter. „Uns wurde aber versichert, dass wir ohne Probleme abreisen können.“

Polizei sucht "Mann in Schwarz"

Runners continue to run towards the finish line as
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NBC still image taken from video shows an explosio

Nach den Explosionen beim Boston-Marathon hat die Polizei die Sicherheitsvorkehrungen in der Millionenmetropole New York verstärkt. Hotels und bekannte Gebäude würden bis auf Weiteres strenger bewacht, sagte New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg am Montag.

Auch die Polizeipräsenz in der U-Bahn werde verstärkt. Dazu würden unter anderem die gesamte, rund 1000 Mann umfassende Terrorabwehr-Truppe der New Yorker Polizei sowie Spezialfahrzeuge eingesetzt. "Einige dieser Maßnahmen können leicht bemerkbar sein, andere nicht", sagte Bloomberg.

Schon während der ersten Meldungen über Todesopfer und Verletzte in Boston wurden in London die Sicherheitsvorkehrungen für den für nächsten Sonntag in der englischen Hauptstadt angesetzten Marathon adaptiert. "Unser Sicherheitsplan ist in enger Zusammenarbeit mit der 'Metropolitan Police' entstanden", gab mit Nick Bitel der Geschäftsführer des Marathons in einer Aussendung bekannt.

"Sobald wir die Neuigkeiten aus Boston gehört haben, sind wir mit ihr in Kontakt getreten." Eine Polizei-Verantwortliche gab an, dass man die schon getroffenen Sicherheitsmaßnahmen überprüfen werde. Bitel vergaß aber auch nicht auf die Opfer der Explosionen: "Unsere Gedanken sind bei ihnen und ihren Familien. Es ist ein sehr trauriger Tag für die Leichtathletik und für unsere Marathon-Freunde und -Kollegen."

Die pakistanischen Taliban haben am Dienstag betont, keine Verantwortung für die Explosionen beim Marathon in Boston zu haben. "Wir sind für Angriffe auf die USA und ihre Verbündete, sind jedoch in diese Angriffe nicht verwickelt", sagte der Sprecher der Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), Ehsanullah Ehsan, der Nachrichtenagentur AFP. Die TTP hat in Pakistan zahlreiche Selbstmordanschläge verübt und auch mit Angriffen auf US-Städte gedroht. Im Mai 2010 wurde ein Autobombenanschlag auf den Times Square in New York verhindert, der laut einem Internetvideo angeblich von der TTP geplant worden war. Der Attentäter Faizal Shahzad erklärte allerdings vor Gericht, er sei zwar von der TTP ausgebildet worden, habe den Anschlag aber allein geplant. Ein TTP-Sprecher bestritt, Shahzad rekrutiert zu haben.

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