Ankaras Kriegskurs könnte IS stärken

Türkisches Militär an der Grenze zu Syrien bei Kilis
Syrische Kurden fürchten Intervention, Türkei lässt angeblich Rebellen über die Grenze.

Wieder ein schwerer Anschlag, wieder viele Tote, wieder die Ankündigung einer harten Reaktion – die Türkei ist seit dem vergangenen Sommer in einer Gewaltspirale gefangen, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint. Nach dem Selbstmordanschlag von Ankara, bei dem der Täter am Mittwochabend an einer Ampel im Stadtzentrum mit seinem Auto voller Sprengstoff eine Reihe von Bussen mit Militärpersonal rammte, droht zudem eine weitere Eskalation im Norden Syriens.

Ein Kommandant der syrischen Rebellengruppe "Front der Levante" sagte Reuters, die türkischen Behörden hätten seiner Miliz erlaubt, Verstärkung mit leichten und schweren Waffen wie Raketen und Panzern über die Grenze nach Syrien zu bringen. Die insgesamt bis zu 2000 Kämpfer und das Kriegsgerät passierten demnach die Grenze am Übergang Bab al-Salam, an dem seit Wochen Zehntausende syrische Flüchtlinge auf Einlass in die Türkei warten.

Der Übergang liegt wenige Kilometer nördlich der Stadt Azaz, wo die syrische Kurdenmiliz Volksbefreiungseinheiten (YPG) seit Tagen unter türkischem Artilleriefeuer liegt. Offenbar sollen die frischen Rebellentruppen im Auftrag der Türkei gegen die YPG vorgehen, die für den Anschlag mit 28 Toten verantwortlich gemacht wird. Die YPG ist der bewaffnete Arm der kurdischen Demokratischen Unionspartei (PYD), die Ankara am Donnerstag vorwarf, nach einem Vorwand für einen Syrien-Einmarsch zu suchen.

PKK-Ableger in Syrien

YPG und PYD sind syrische Ableger der türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK. In den Wirren des Bürgerkrieges haben sie sich zwei Autonomiezonen im Norden Syriens gesichert, die sie nun – auch mit dem Vorstoß bei Azaz – miteinander vereinigen wollen. Die Türkei befürchtet die Entstehung eines PKK-beherrschten Kurdenstaates vor ihrer Haustür und setzt alles daran, den Vormarsch zu stoppen.

Laut Berichten von PKK-Medien sollen nicht nur Rebellen, sondern auch türkische Militärfahrzeuge in Syrien eingedrungen sein. Dafür gab es jedoch keine Bestätigung. Unterdessen setzte auch die PKK ihren Kampf gegen Ankara fort und tötete bei einem Anschlag in Südostanatolien sechs Soldaten; zwei weitere Sicherheitskräfte wurden bei Gefechten in der Stadt Idil getötet.

Die PKK hat großen Anteil an der Eskalation. Die Rebellen glauben, im Chaos des Syrien-Krieges sei endlich die Stunde zur Schaffung eines autonomen Kurdistans zwischen Türkei, Syrien und dem Irak gekommen. Deshalb setzen sie auf Konfrontation.

Auf der türkischen Seite schließen Präsident Erdogan und Premier Davutoglu in der Kurdenfrage eine Rückkehr zu Verhandlungen aus und setzen auf einen militärischen Sieg über die PKK und ihre Unterorganisationen sowohl in der Türkei als auch im Norden Syriens. Zudem greift die Türkei die PKK-Lager im Irak an – Ankara führt gewissermaßen einen Dreifrontenkrieg gegen die Kurdenrebellen.

Unnachgiebige Härte

Erdogans Kurs unnachgiebiger Härte findet zwar Zustimmung bei türkischen Nationalisten, ist nach Meinung von Beobachtern auf Dauer aber zum Scheitern verurteilt: Die Türkei konnte die PKK in mehr als 30 Jahren Krieg nicht besiegen und wird es auch jetzt nicht schaffen. Nur eine politische Lösung kann den Konflikt beenden. Kritiker raten zum Gespräch mit den syrischen Kurden, wenn schon Verhandlungen mit der PKK ausgeschlossen werden. Auch im Nordirak hat man sich letztlich mit der Herrschaft der Kurden arrangiert.

Ankaras Kriegskurs könnte IS stärken
Turkish President Tayyip Erdogan (L) meets with Chief of Staff General Hulusi Akar at the Army headquarters in Ankara, Turkey February 18, 2016, in this handout photo provided by the Presidential Palace. REUTERS/Yasin Bulbul/Presidential Palace/Handout via Reuters ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. REUTERS IS UNABLE TO INDEPENDENTLY VERIFY THE AUTHENTICITY, CONTENT, LOCATION OR DATE OF THIS IMAGE. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVE. THE PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS.
Erdogan lässt jedoch keine Bereitschaft zur Kursänderung erkennen. Aus seiner Sicht liegt der Schlüssel zur Lösung in einer Entmachtung von Syriens Präsidenten al-Assad und dem Ende der US-Hilfe für die YPG, die für Washington ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS ist. Sollten die USA unter dem Druck Ankaras ihre Hilfe für die syrischen Kurden verringern oder einstellen, könnte sich der IS als lachender Dritte dieser Konfrontation im Norden Syriens nach einer Serie von Rückschlägen wieder stabilisieren.

Derzeit leben in Österreich rund 110.000 Kurden. Außer in Kärnten und im Burgenland, gibt es in allen Bundesländern insgesamt 14 Vereine und Zentren, die unter dem Dachverband "feykom" organisiert sind. Der Obmann, Richard Berger, erklärt, dass nach Anschlägen wie in der Türkei, natürlich viel in der Gemeinschaft diskutiert wird: "Wir kennen diese Probleme seit 40 Jahren. Aber es muss eines immer ganz klar gesagt werden, wir haben nichts gegen die türkische Bevölkerung, sondern gegen den Staat. Ich hoffe einfach, dass die Situation nicht noch weiter eskaliert." Berger hat seinen Namen nach der Einwanderung nach Österreich aus politischen Gründen geändert.

Trotzdem, oder gerade deswegen betont er im KURIER-Gespräch immer wieder, wie wichtig es "feykom" sei, eine ausschließlich kulturelle und soziale Größe für Kurden in Österreich zu sein. Auch Religion ist in dem Verein kein Kernthema: "Kurden haben verschiedene Religionen, verschiedene Herkunftsstaaten – deshalb geht es feykom nur um das kurdische Kulturgut und Soziales. Wir sind gut vernetzt mit der Caritas und anderen Organisationen und machen Projekte für Kinder oder Frauen", sagt Berger. Die Frage, ob es in der Gemeinschaft auch Mitglieder mit politisch extremen Ansichten gibt, beantwortet Berger ohne große Umschweife: "Solche Menschen gibt es überall, wir nehmen aber klar Abstand davon."

Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) startet 1984 mit Waffengewalt und Anschlägen für einen kurdischen Staat oder ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Mehr als 40.000 Menschen starben bisher. PKK-Chef Abdullah Öcalan ist seit 1999 inhaftiert; sein Konterfei prägt nach wie vor jede Kurden-Kundgebung. Die Türkei, EU und USA werten die PKK als Terrororganisation.

Nach Friedensbemühungen durch die AKP-Regierung von Präsident Erdogan erklärte die PKK 2013 eine Waffenruhe und begann mit dem Abzug ihrer Kämpfer. 2015 rief Öcalan seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen. Die pro-kurdische Partei HDP zog im Juni ins Parlament ein. Erdogan verschärfte seinen Kurs, die Waffenruhe platzte, Ankara startete Ende 2015 eine Großoffensive gegen Kurden in der Südosttürkei. Im Irak und in Syrien bombardiert die türkische Armee kurdische Kämpfer.

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