Es gibt diese Anekdote von Andrij Melnyk, die erklärt ihn ziemlich gut. Einige Wochen nach Kriegsbeginn, so schreibt der Spiegel, sitzt der ukrainische Botschafter in einem Berliner TV-Studio, er hat gerade ein emotionales Streitgespräch mit dem SPD-Außenpolitiker Michael Roth hinter sich. Der eilt schnellen Schrittes zur Tür hinaus, man könnte meinen, er flieht. Melnyk sagt: „Arschloch“.
Eine „Zumutung“ nannte die FAZ ihn einmal, der Spiegel porträtierte ihn als „Der Undiplomat“: Melnyk, 47, immer sehr akkurat gekleidet, war in den vergangenen Monaten der Stachel im Fleisch der deutschen Politik. Schon Wochen bevor Wladimir Putin seine Panzer Richtung Kiew schickte, saß er in Talkshows, erklärte in geschliffenstem Deutsch, was dem Westen drohe – und wurde für seine Warnungen belächelt.
Nach dem Beschuss teilte er darum umso heftiger aus, und da vor allem in Richtung SPD. Kanzler Olaf Scholz sei eine „beleidigte Leberwurst“, weil er nach der Ausladung Frank-Walter Steinmeiers partout nicht nach Kiew reisen wollte, sagte Melnyk etwa. Präsident Steinmeier, der in Kiew wegen seiner Verhandlungen mit Russland seit 2014 eine Persona non grata ist, unterstellte er ein „heiliges“ Verhältnis zu Moskau und „ein Spinnennetz an Kontakten mit Russland“.
Jetzt, viele Tiraden später, scheint der scharfzüngige Jurist doch übers Ziel hinaus geschossen zu haben. Wie die Bild und die Süddeutsche berichten, soll er ab Herbst stellvertretender Außenminister in Kiew werden. Ob das eine Beförderung oder eine Ruhigstellung ist, ist schwer zu sagen: Seit Olaf Scholz Mitte Juni doch in Kiew war, sind – trotz der nach wie vor ausbleibenden Lieferung schwerer Waffen – die Beziehungen der beiden Länder deutlich entspannter; Melnyks Rolle als Advocatus Diaboli scheint überholt. Doch auch ein Interview, das er kürzlich mit dem Polit-Blogger Tilo Jung führte, dürfte mit ein Grund für den Abzug sein. Melnyk sagte da unverblümt, der ukrainische Nationalist Stepan Bandera sei „kein Massenmörder von Juden und Polen“ gewesen, dessen Kollaboration mit den Nazis nicht belegt – all das sei nur Teil der russischen Anti-Ukraine-Propaganda.
Bärendienst
Das war selbst Kiew zu viel. Bandera war eine zentrale Figur jener ukrainischen Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg mit der Wehrmacht zusammenarbeiteten, landete später allerdings selbst im KZ und wurde vom KGB ermordet. Er wird in Teilen der Westukraine als Nationalheld verehrt, ist aber für das offizielle Kiew ein Mühlstein, den man lieber unangetastet lässt – schließlich sorgt er bei den politischen Freunden für Unmut. Polen etwa, einer der größten Waffenlieferanten der Ukraine, zeigte sich empört über Melnyks Geschichtsbild, Israel ebenso. Kiew entschuldigte sich umgehend.
Mit dem Interview habe Melnyk ungewollt russischen Propagandisten in die Hände gespielt, die in der Ukraine nur Faschisten wähnen, kritisierten Beobachter danach – ein Bärendienst für die ukrainische Sache. Das hinterlässt mit seinem Abgang einen schalen Nachgeschmack.
In Berlin wird man über seinen Abschied nicht nur deshalb froh sein: Auch von den ständigen Nachfragen nach den deutschen Waffenlieferungen bleibt das Kanzleramt nun verschont.
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