Wie Österreicher und Einheimische den Alltag in der Ukraine erleben
In der Kiewer U-Bahn schaut derzeit jeder aufs Handy, alle lesen Nachrichten. Seit der Anerkennung der abtrünnigen Republiken im Osten durch Wladimir Putin hat sich etwas verändert: „Diese Rede wurde in der Ukraine als Kriegserklärung verstanden“, sagt Olga Tokariuk, sie ist Journalistin in Kiew.
Die Angst, die latent da war, ist raumgreifender geworden. „Auf Facebook diskutieren Mütter darüber, ob sie ihren Kindern Aufkleber mit ihrer Blutgruppe auf die Kleidung nähen sollen“, sagt sie.
Die Ostukrainer zwischen Jubel und Besorgnis
Freiwillige gesucht
In der Hauptstadt hat man Angst vor einer Invasion, in Zeitungen sind Aufrufe an Zivilisten zu lesen, sich der Freiwilligen-Miliz anzuschließen. „Meine Freunde denken darüber nach, sich den Streitkräften anzuschließen“, schreibt etwa Iryna Matviyishyn, Menschenrechtsexpertin in Kiew.
130.000 Personen haben sich für die Freiwilligen-Armee gemeldet, die es seit 2014 gibt. Sie soll ein neuer Grundpfeiler für die Verteidigung der Ukraine sein. In den Vororten Kiews wird seit Wochen trainiert; und all jene, die zumindest das Gefühl haben wollen, sich schützen zu können, besuchen im Rathaus Selbstverteidigungskurse. Die Nachfrage ist groß.
Im Westen des Landes ist man etwas entspannter. Andreas Wenninger ist erst vom Heimaturlaub in Österreich in die Ukraine zurückgekehrt. Nach Lwiw, Lemberg, seine Heimat, seit über 20 Jahren. Er leitet das Kooperationsbüro der Österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung an der Iwan-Franko-Universität in Lemberg und gibt sich im Gespräch mit dem KURIER betont unaufgeregt: „Hier, im Westen der Ukraine, ist die Situation entspannt. Man spürt zwar den Druck, aber der Alltag geht weiter. Das Drama wird in Österreich größer gesehen als hier.“ Daran hat sich auch nach der Rede Putins am Montagabend mit der Anerkennung von Lugansk und Donezk nichts geändert. Das sei erwartbar gewesen, „aber die Leute bewahren Ruhe“.
Was verstärkt passiere: stille Demonstrationen, überall im Land. Er selbst muss – corona-infiziert – zu Hause bleiben. Den Westen sieht er geschlossen aufseiten der Ukraine: „Die Leute sind überzeugt: Amerikaner und Briten regeln das. In der Ukraine glauben nur 19 Prozent an einen Einmarsch der Russen, in Lemberg noch weniger.“
"Dr. Steelhammer" Wladimir Klitschko meldet sich freiwillig zur Verteidigung Kiews
„Fühle mich hier wohl“
Ebenfalls in Lemberg lebt Manuel Wernbacher, mit seiner Frau und seinem 6-jährigen Sohn. Gerade ist er auf Skiurlaub, am Freitag fliegt er heim. In die Ukraine. Der gelernte Koch ist seit 2006 dort, in der Fünf-Stern-Hotel-Gastronomie durchs ganze Land gekommen. Donezk, Kiew, Lemberg.
In Lemberg hat er Haus gebaut, ist sesshaft geworden und als selbstständiger Geschäftsmann in der Gastronomiebranche tätig: „In Lemberg wird es nicht so schnell eskalieren.“ Er bleibt: „Familie, Geschäft, Haus, ich habe alles hier. Und ich fühle mich hier wohl.“ Wobei er gar nicht abstreiten will, dass auch er im Hinterkopf habe: „Es kann immer was passieren.“ Auch sei es schwierig geworden, langfristig zu planen.
„In der Ukraine ist man kämpferisch.“ Das sagt Rostyslav Tys. Er leitet die ukrainische Samstagsschule in Wien, seine Familie lebt in der Ukraine: „Meine Schwiegermutter ist mit ihren 70 Jahren sofort bereit, als Krankenschwester an die Front zu gehen.“
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