Afghanistan: EU-Länder wappnen sich für Flüchtlingswelle
„Wir schaffen das“, sagte Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel 2015 mit Blick auf Hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus Syrien; sie traf damit den Nerv vieler Menschen.
Sechs Jahre später ist von derartigem Optimismus nichts mehr zu spüren. Sämtliche EU-Länder setzen beim Thema Migration klar auf Abschottung – auch gegenüber afghanischen Zivilisten, die wegen der Machtergreifung der radikal-islamischen Taliban die Flucht ergriffen haben. „Wir wollen kein neues 2015 erleben“, brachte der griechische Migrationsminister Mitarakis am Dienstag die Stimmung auf den Punkt.
Einige Länder, darunter Frankreich, haben zwar angekündigt, besonders verfolgten Personen wie Menschenrechtlern oder Journalisten Asyl zu gewähren. Andere, etwa Deutschland, wollen Afghanen aufnehmen, die ihre Soldaten während des Einsatzes am Hindukusch unterstützt haben. Das Gros der Geflüchteten soll aber – so der Tenor in der EU – in der Region bleiben.
Die Taliban und Frauenrechte
Millionen auf der Flucht
Wie das erreicht werden kann, wollen die Innenminister der EU am Mittwoch besprechen. Am Montag hatte Kanzlerin Merkel erklärt, man werde den Nachbarländern Afghanistans Hilfe anbieten, allen voran Pakistan. Noch am Dienstag wollte die Kanzlerin mit dem Präsidenten des UN-Hilfswerks UNHCR über Unterstützung vor Ort sprechen.
Frankreichs Präsident Macron plädierte wie auch Österreichs Außenminister Schallenberg ebenfalls für Hilfe vor Ort. Europa müsse eng mit Pakistan, dem Iran oder dem wichtigen Transitland Türkei zusammenarbeiten, sagte er.
Österreichs Innenminister Nehammer schlägt vor, Abschiebezentren um Afghanistan einzurichten. Rückführungen abgelehnter Asylwerber sind derzeit nicht nur aus Sicht von Bundespräsident Van der Bellen „fehl am Platz“. Auch das UNHCR rät davon ab.
Der deutsche Innenminister Seehofer sprach zuletzt von 300.000 bis fünf Millionen Afghanen, die aus Angst vor den Taliban die Flucht ergreifen könnten.
Bereits jetzt sind 18 Millionen Einwohner laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) auf humanitäre Hilfe angewiesen. Rund 4,2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, weitere 6,5 Mio. befinden sich in Pakistan und im Iran (siehe Grafik).
Vergleichsweise wenige Afghanen sind bisher nach Europa gekommen. Hier stammten 2020 rund 10,3 Prozent der Asylanträge von Afghanen.
Zäune, Mauern, Pushbacks
Migrationsforscher wie der Österreicher Gerald Knaus oder der Deutsche Steffen Angenendt gehen davon aus, dass auch weiter der größte Teil der Geflohenen in der Region bleiben wird bzw. muss. Vor allem, weil es im Vergleich zu 2015 deutlich schwerer geworden ist, nach Europa zu gelangen. Der Vertrag zwischen der EU und der Türkei, dem auch mit Blick auf Migration aus Afghanistan eine Schlüsselrolle zukommt, hat die Zahl illegaler Grenzübertritte in der Ägäis drastisch reduziert.
Dazu kommen die vielfach berichteten illegalen Pushbacks von Bootsmigranten durch griechische Grenzschützer – die Athen dementiert. Ungarn schützt sich durch einen Zaun an der Grenze zu Serbien, auch Bulgarien und Kroatien gehen rigoros gegen illegale Migration vor.
Doch auch unter Afghanistans Nachbarn ist die Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, nicht besonders groß und könnte von der EU teuer erkauft werden müssen.
Usbekistan und Tadschikistan haben ihre Grenzsicherung verstärkt, Pakistan stellt dieser Tage einen Grenzzaun zu Afghanistan fertig und will Flüchtlingslager nur auf afghanischer Seite dulden. Der Iran hat Pufferzonen an der Grenze errichtet, in denen Menschen so lange Schutz finden sollen, bis sich die Lage wieder entspannt.
Kommentare