Afghanischer Außenminister: "Sollten Straftäter nach Afghanistan abschieben"

Afghanischer Außenminister: "Sollten Straftäter nach Afghanistan abschieben"
Rangin Dadfar Spanta, ehemaliger Außenminister Afghanistans, kritisiert die fehlende Verantwortung der globalen Gemeinschaft, warnt vor Terrorismus und ist für die Abschiebung von straffällig gewordenen Geflüchteten.

Rangin Dadfar Spanta, von 2006 bis 2010 Außenminister Afghanistans, ist ein deutsch-afghanischer Politologe und unterrichtete vor seiner politischen Karriere an der Universität Aachen. Er verließ sein Heimatland am 15. August 2021 – als die Taliban die Hauptstadt Kabul einnahmen: "Ich war noch am Flughafen, als sie mein Haus plünderten." Der Ex-Politiker war anlässlich einer Konferenz afghanischer Oppositioneller in Wien.

KURIER: Oppositionelle und Aktivisten beklagen den fehlenden internationalen Druck auf die Taliban und warnen vor einer Annäherung auf diplomatischer Ebene. Wie sehen Sie das?

Rangin Dadfar Spanta: Auf diplomatischer Ebene findet bereits eine schleichende Anerkennung statt, während eine Art Gender-Apartheitspolitik herrscht und es zu einer systematischen Entrechtlichung von Frauen. Das ist gefährlich. Die Taliban haben mit Terrorismus die Macht erobert. Afghanistan ist derzeit kein funktionierender Staat, hat nicht einmal ein Grundgesetz. Doch der Blick der internationalen Gemeinschaft auf Afghanistan ist geprägt von Konkurrenzdenken und den Entwicklungen in der Region. Die Taliban werden "salonfähig" gemacht. Dabei werden innerstaatliche Themen wie Menschen-, Frauenrechte und Rechtsstaatlichkeit ignoriert. Doch allein aus Sicherheitsinteressen müsste sich die Welt dafür interessieren.

Wie meinen Sie das?

Afghanistan ist momentan ein Hort für international agierende, terroristische Bewegungen wie Al Kaida oder den IS. Terroristischer Attacken finden vor unseren Augen im Iran, in Russland oder in Pakistan statt, die Urheber haben ihre Basis in Afghanistan. Und diese Gefahr lässt sich durch nationale Grenzen nicht beschränken.

Wie sollte internationaler Druck also ausschauen? 

Ich bin gegen militärisches Engagement, wie wir aus der Geschichte lernen. Meiner Meinung nach sollten wir es vermeiden, den Taliban diplomatisch politische Legitimität zu schenken. Zweitens sollten sie nicht in die internationale Gemeinschaft wieder eingegliedert werden. Drittens müssen humanitäre Hilfe und Armutsbekämpfung so geschehen, dass sich die Taliban dadurch nicht bereichern und stabilisieren können. Gleichzeitig sollten konstruktive Dialoge mit der demokratischen Opposition und jenen, die für Demokratie eintreten, ernst genommen werden. Die Konferenz in Wien ist ein Beispiel dafür.  

Solche Konferenzen bringen also etwas?

Ja! Sie zeigen, dass es ein anderes Afghanistan gibt, abseits von Gewalt, Radikalismus, Drogenwirtschaft und Terrorismus. Dass es Menschen gibt, die sich für Menschenrechte interessieren, und ein Afghanistan als zivilisiertes Mitglied der internationalen Gemeinschaft als erstrebenswert erachten. Dass der Widerstand nicht tot ist. Dass afghanische Frauen, die Spitze unseres Widerstandes, gegen das Terrorregime auf die Straße gehen, und Folter und Schlimmeres in Kauf nehmen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Was sie leisten, ist epochal. In einem Freiheitskampf benötigt man strategische Geduld. Man muss das Feuer am Lodern halten. Irgendwann wird ein großer Brand entstehen, daran glaube ich fest.

Ex-Außenminister Spanta warnt: "Die Taliban werden salonfähig."

Ex-Außenminister Spanta warnt: "Die Taliban werden salonfähig."

Wird man die Taliban langfristig in die Entwicklung eines demokratischen Afghanistans einbinden müssen?

Das steht zur Debatte, sollten sich die Taliban in eine politische Bewegung umwandeln und das Recht des Anderen akzeptieren. Aber solange es keinen breiten, starken Widerstand gibt und von außen kein Druck ausgeübt wird, wird das nicht geschehen.

Die UN stehen in der Kritik, weil sie sich den Bedingungen der Taliban beugen und, um diese an den Tisch zu bekommen, Frauen und Aktivistinnen von der Konferenz dieses Wochenende ausschließen. Teilen Sie diese Kritik?

Dass sich die UN den Forderungen beugen, ist sehr zu bedauern. Diese Institution ist eine Hoffnung für viele Menschen weltweit. Wir haben unsere Kritik im Rahmen eines offenen Briefes an den UN-Generalsekretär auch kundgetan.

Eine Delegation der Taliban beim Präsidenten der VAE in Abu Dhabi am 3. Juni 2024.

Eine Delegation der Taliban beim Präsidenten der VAE in Abu Dhabi am 3. Juni 2024.

Aktuell gibt es wieder Debatten über Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan. Was sagen Sie dazu?

Die Mehrheit der Afghanen flüchtet vor der Gewaltherrschaft der Taliban. Sie haben Schutz und Unterstützung verdient. Es braucht aber bessere Integrationsmaßnahmen, gerade im deutschsprachigen Raum. Andererseits gibt es ein paar gewaltbereite Radikale, die sich hier radikalisiert haben oder eingeschleust wurden. Die, welche die Grundprinzipien der Demokratie nicht akzeptieren, sollten in einer Geografie leben, in der Radikalismus die Herrschaftsideologie ist. Ich habe nichts dagegen, dass diese Menschen im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit abgeschoben werden – selbst nach Afghanistan.

Aber bräuchte es dafür nicht eine Zusammenarbeit mit den Taliban? 

Nicht im Sinne einer Anerkennung. Es gibt ja Kontakte zu den Taliban, wir dürfen die Öffentlichkeit darüber nicht belügen, die gibt es etwa im Rahmen der humanitären Hilfe.  Aber ich betone wieder: Diese Radikalen sind ein paar und nicht die Mehrheit. Es muss möglich sein, diese auszuweisen. Eine Demokratie muss wehrhaft sein. Und diese Menschen bedrohen allen voran jene Immigranten, die sich hier integrieren.

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