Im Interview mit AfD-Co-Vorsitzender Weidel wurde versucht, auf Widersprüche in Parolen, Programm und ihrem Privatleben einzugehen, auf den Verfassungsschutz – Weidels Meinung nach "keine unabhängige Institution" – und eine potenzielle Regierungsbeteiligung der Partei. Der Artikel sorgte für Aufregung.
Der stern rechtfertigte das Interview folgendermaßen: "Die Strategie, gar nicht mit ihnen [der AfD, Anm.] zu sprechen, hat, wenn man sich die Umfragen anschaut, auch nicht funktioniert. Wir glauben, dass es nötig ist, mit allen Menschen zu sprechen, die Macht in unserer Demokratie anstreben, und sie zu fragen, welche Lösungsvorschläge sie auf gesellschaftliche Fragen anbieten, oder ob nur Angst geschürt wird."
Höhenflug war "erwartbar"
Experten, die das ähnlich sehen, argumentieren, nur so könne man die innere Zerrissenheit und Destruktivität der Partei aufzeigen – "einer Partei, die sich als politische Kraft der Freiheit gegen den Staat darstellt, gegen jede Gängelung und Einmischung – und damit für Kleinunternehmer und Arbeiter gleichermaßen attraktiv sein will", sagt Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre im Spiegel.
Julia Reuschenbach, Politikwissenschafterin der FU Berlin, plädiert im Podcast der Zeit für eine differenzierte Debatte und irritiert der öffentliche Aufschrei: "Die AfD ist nicht zum ersten Mal bei derart hohen Werten“ – im Herbst 2018, als öffentlich über Deutschlands Asylpolitik gestritten wurde, kam sie auf 18,5 Prozent. Durch den medialen Aufschrei werde sie zum Gegenstand öffentlicher Diskussion, ohne dass sie dafür etwas tun müsse.
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Zudem komme der Höhenflug nicht unerwartet angesichts der Unsicherheit verbreitenden, krisenhaften Zeit (Corona, Krieg, Energiekrise), in der es der regierenden Ampel-Koalition zusätzlich an Einigkeit und Führungskraft fehle: "Wenn man mittlerweile die Uhr danach stellen kann, dass ein Koalitionspartner einen mühsam gefundenen Kompromiss wenige Stunden später wieder infrage stellt, ist das nur denkbar günstig für rechtspopulistische Parteien, die auf komplexe Fragen einfache Antworten bieten."
Genauso sei aber auch die Union in der Opposition zu kritisieren, die rechtspopulistischen Jargon wie "Klimadiktatur" (CDU-Abgeordneter Jens Spahn) oder "Zwangsveganisierung" (CSU-Chef Markus Söder) in den Mainstream rücke und "salonfähig" mache. Das nütze letztlich nur dem Original: "In der Vergangenheit haben Mitte-rechts, konservative Parteien dadurch eher verloren haben."
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Wirksame Abgrenzung
Das einzig wirksame Mittel gegen den Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland sowie im Rest Europas: „Eine klare Abgrenzung, konkrete, programmatische Lösungen und kein ,Umarmen des Feindes’“, so Reuschenbach. Ersteres macht etwa der CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Hendrik Wüst – und hält damit nicht nur die AfD in allen Umfragen auf Abstand, sondern wird auch als aussichtsreicher Kanzlerkandidat gehandelt.
Man müsse sich aber auch von dem (Wunsch-)Gedanken verabschieden, dass sich die AfD irgendwann wieder in Luft auflöse: Die Stammwählerschaft umfasst mittlerweile über zehn Prozent – das entspricht in etwa dem Ergebnis der letzten Bundestagwahl (10,3 Prozent). Was ihre Wählerschaft verbinde, seien eher politische Meinungen als soziodemografische oder -ökonomische Merkmale, so Reuschenbach: "Misstrauen und Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und vor allem Migrationsfeindlichkeit."
Was die AfD jedenfalls schaffe: Sie fischt erfolgreich im Pool der Nicht-Wähler. Jede andere politische Kraft kann sich das zu Zeit nur wünschen.
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