Ägypten: „Sterben oder gewinnen“

A member of the Muslim Brotherhood and supporter of deposed Egyptian President Mohamed Mursi stands near a burnt motorcycle after late night clashes, at the entrance to their campsite near the Tomb of the Unknown Soldier, close to Rabaa Adawiya Squarw, in Nasr city area, east of Cairo July 28, 2013. Thousands of supporters of Egypt's Muslim Brotherhood stood their ground in Cairo on Sunday, saying they would not leave the streets despite "massacres" by security forces who shot dozens of them dead. Egypt's ambulance service said 72 people were killed in Saturday's violence at a Cairo vigil by supporters of deposed President Mohamed Mursi, triggering global anxiety that the Arab world's most populous country risked plunging into the abyss. REUTERS/Amr Abdallah Dalsh (EGYPT - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Die Muslimbrüder wollen weiter gegen die übermächtige Armee kämpfen.

Das Protestcamp der Muslimbrüder bei der Raba-al-Adawiya-Moschee im Osten Kairos stand auch am Sonntag noch. Trotz der Warnungen des Militärs, den Platz von den Zelten, Planen, Betonblöcken und Menschen noch am Wochenende freizuräumen. Die Blutspuren vom Samstagmorgen sind dort auch zwei Tage später noch zu sehen. Mindestens 80 Menschen sind an diesem Ort bei Zusammenstößen zwischen Mursi-Anhängern und Polizisten getötet worden. Das ist die offizielle Zahl, die das Gesundheitsministerium bekannt gegeben hat. Die Muslimbrüder sprechen von mehr als 100 Toten.

Auch am Sonntag starben in Ägypten Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Muslimbruderschaft und der Polizei. „Das ist der Preis, den wir für die Freiheit zahlen“, sagte ein Islamist zu Journalisten von AFP. Die Toten werden längst „Märtyrer“ genannt. Die Männer, die sich weiter in die erste Reihe der Demonstrationen gegen das übermächtige Militär stellen, gelten als „Helden“. Sie wollen weiter für die Wiedereinsetzung des verhafteten Ex-Präsidenten Mohammed Mursi demonstrieren. „Wir fühlen Leid und Wut, aber auch Entschlossenheit“, sagte der Sprecher der Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad. „Entweder wir sterben, oder wir gewinnen.“

„Wille zu töten“

Die Hintergründe der Zusammenstöße von Samstag sind noch ungeklärt. Während das Militär behauptet, Mursi-Anhänger hätten die Sicherheitskräfte „provoziert“, spricht das Mursi-Lager erneut von einem „Massaker“ – wie nach dem 8. Juli, als vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde 51 Mursi-Anhänger getötet worden waren.

Die Kritik am Militär ist heute ähnlich groß wie nach dem Ereignis vor drei Wochen: „Es ist fast unvorstellbar, dass es so viele Tote gab, ohne den Willen zu töten“, sagte Nadim Houry von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Zumindest sehe er eine „kriminelle Missachtung der Menschenrechte“. Viele Opfer hatten nach Angaben von Ärzten und Augenzeugen Schusswunden an Brust oder Kopf.

Besorgt über die blutigen Ereignisse vom Wochenende zeigten sich auch Politiker aus dem Ausland. Von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, über US-Außenminister John Kerry, bis hin zu UN-Generalsekretär Ban Ki-moon riefen sie die Regierung dazu auf, für Sicherheit zu sorgen. Sie müsse den „Schutz aller Ägypter sicherstellen“, sagte der UN-Chef.

Schwedens Außenminister Carl Bildt ließ sich zu einem emotionalen Twitter-Dialog mit dem ägyptischen Botschafter in Stockholm hinreißen. Bildt sei „entsetzt“ über die vielen Toten, hatte er getwittert, „die Sicherheitskräfte dürfen der Verantwortung nicht ausweichen“. Botschafter Osama Elmagdoub antwortete, die Demonstrierenden seien keine „friedlichen, unschuldigen Zivilisten“ gewesen, sondern ein „bewaffneter Mob“, das sei „für Schweden schwer zu verstehen.“ Bildts Antwort: „Also erschossen sie sich selbst? Versuchen Sie eine andere Erklärung ...“

Nachdem am Samstag Anhänger und Gegner der regierenden Islamisten aneinandergeraten und mehrere Menschen verletzt worden waren, schien sich die Situation am Sonntag zunächst etwas zu entspannen – zumindest auf den Straßen.

Politisch ging der Protest gegen die Ermordung des Politikers Mohammed Brahmi weiter. 42 Abgeordnete aus Oppositionsparteien legten ihr Mandat vorläufig nieder. Der Präsident der verfassungsgebenden Versammlung, Mustapha Ben Jaafar, ein Liberaler, rief sie auf, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Das Volk habe sie mit einer Aufgabe betraut, die noch zu erfüllen sei. Seit dem Sturz von Ben Ali im Jänner 2011 ist das Land ohne Verfassung. Die Abstimmung über den quasi fertigen Entwurf sollte noch im Sommer stattfinden. Der Termin im August wackelt aber jetzt.

In Tunesien regieren die moderaten Islamisten der Ennahda-Partei seit 2012 gemeinsam mit der säkularen Mitte-Links-Partei CPR und der säkularen Arbeiterpartei Ettakatol. Die beiden Koalitionspartner versuchen jetzt, auf die Opposition zuzugehen, damit sie auf breitere Unterstützung setzen können.

Die Regierungsparteien schafften es im Februar – nach einer Protestwelle wegen des Mordes an dem Oppositionspolitiker Chokri Belaid – das Land wieder zu beruhigen. Der Ennahda-Premier wurde ersetzt, das Kabinett umgebildet. Doch die schwache wirtschaftliche Lage, die Unruhen im benachbarten Ägypten und steigende Kriminalität machen die politische Lage fragil.

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