Abrechnung mit Boris Johnson: Mister "Order" wechselt zu Labour

John Bercow
Der Ex-Speaker John Bercow nennt den Brexit den größten außenpolitischen Fehler in der Nachkriegszeit.

Der frühere britische Parlamentspräsident John Bercow kehrt den Tories den Rücken und schließt sich der oppositionellen Labourpartei an. In einem Interview mit dem Observer kritisierte er die Konservativen unter der Führung von Premierminister und Parteichef Boris Johnson als „reaktionär, populistisch, nationalistisch und manchmal sogar fremdenfeindlich“. Johnsons Regierung müsse abgelöst werden und nur die Labourpartei sei in der Lage, dieses Ziel zu erreichen, sagte Bercow. Er bezeichnete Johnson als „erfolgreichen Wahlkämpfer, aber miserablen Regierungschef“. Der Premierminister habe keine Vision für eine „gerechtere Gesellschaft“. Die Menschen hätten es satt, „Lügen und leere Parolen“ zu hören.

Bercow ist nicht irgendjemand in Großbritannien. Währen der Brexit-Debatte hallten seine legendär gewordenen „Order“-Rufe mehr als 14.000 Mal durch das Londoner Unterhaus. Der Sprecher war so etwas wie der Dompteur des britischen Parlaments. Der Sohn eines Londoner Taxifahrers mit rumänischen Wurzeln hat mit großem Selbstbewusstsein insbesondere für die Rechte kleinerer Parteien und Hinterbänkler gekämpft. Damit zog er den Zorn einiger Regierungen und Parteichefs auf sich. Er erkämpfte sich so aber auch den Respekt vieler einfacher Abgeordneter.

Verhielt sich neutral

Heute sagt er: „Ich denke, dass der Brexit der größte außenpolitische Fehler in der Nachkriegszeit ist.“ Seine Partei, die Konservativen werfen ihm bis heute vor, die Ratifizierung des Austrittsabkommens bewusst verzögert zu haben. Bercow betonte jedoch stets, dass er sich neutral verhalten und auch die Brexit-Befürworter fair behandelt habe. Als Speaker musste er seine Parteizugehörigkeit hintanstellen. Er war aber immer ein Brexit-Gegner.

Im vergangenen August verweigerte ihm Johnson einen Sitz im britischen Oberhaus. Das ist gegen die Etikette. Der 58-Jährige ist damit der erste „Speaker“ in mehr als zwei Jahrhunderten, dem diese Ehre nicht zuteil wurde.

Susanne Bobek

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