Milliarden an Fördergeldern und letztlich die Klimapolitik Europas hängen von der Antwort auf die Frage ab: Ist Atomkraft klimafreundlich?
Ganz und gar nicht, heißt es darauf von Umweltministerin Leonore Gewessler. „Atomkraft hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun“, beteuert die Klimaschutzministerin. Belegen will sie dies mit einem gestern präsentierten Rechtsgutachten. Es soll den juristischen Nachweis liefern, wonach Atomkraft in der EU nicht als grün eingestuft werden dürfe.
„Atomenergie ist hochgefährlich und sicher keine Lösung im Kampf gegen die Klimakrise“, beharrt Gewessler. Dass die Erzeugung von Atomstrom als -arm angesehen werde, genüge dabei nicht.
Doch die letzte Antwort auf die Frage – „ist Atomkraft nachhaltig?“ – muss nicht Wien, sondern Brüssel liefern. Schon vor Monaten hätte die EU-Kommission sie geben sollen. Aber zwischen den EU-Staaten tobt ein heftiger Kampf für und wider die Atomkraft – und so zögert die Kommission ihr Schlusswort hinaus. Nach Informationen eines EU-Beamten ist erst kurz vor Weihnachten mit einer Antwort zu rechnen.
Ob Nuklearstrom-Befürworter oder -Gegner – mit einer der beiden Seiten wird es sich die Kommission auf jeden Fall verscherzen. Umweltministerin Gewessler drohte bereits gestern mit einer möglichen Klage.
Österreichs Mitstreiter
Österreich ist dabei nicht allein: Luxemburg, Dänemark, Spanien und vor allem das mächtige Deutschland ziehen gemeinsam an einem Anti-Atomstrang. Diese „Hochrisikotechnologie“ dürfe nicht mit Wind- und Solarstrom gleichgestellt werden, verlangt auch die deutsche Umweltschutzministerin Svenja Schulze.
Deutschland hatte ja beschlossen, aus der Kernenergie auszusteigen. Nächstes Jahr sollen die letzten drei Reaktoren vom Netz gehen.
Die EU hat sich dem ehrgeizigen Ziel verschrieben: Bis 2030 müssen die Treibhausgase um 55 Prozent gesenkt werden (Niveau 1990). Dafür muss die Nutzung von Gas, Öl und Kohle zurückgedrängt und durch erneuerbare Energieträger ersetzt werden. Und dafür wiederum braucht es sehr, sehr viel Geld.
Grüne Investment-Bibel
In der sogenannten „Taxonomie“, einer Art grüner Bibel, hat die EU-Kommission im Frühling festgelegt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten aus Klimagesichtspunkten nachhaltig sind und welche nicht. Anders gesagt: Welche Investition gelten als „grün“ und welche nicht?
Ob solche in Atomkraft und in Gas dazugehören, ließ die Kommission wegen des Riesenstreits darum vorerst ausgeklammert.
Druck aus Frankreich
Die Mehrheit der EU-Staaten aber macht massiven Druck. 14 der 27 setzen auf Atomkraft, Frankreich gewinnt sogar 70 Prozent seines Stroms aus Nuklearenergie. Als Wortführer der Atomkraftkämpfer wirft sich deshalb Präsident Emmanuel Macron in die Bresche.
Sein Argument: Ohne Atomkraft sei der Übergang zur Klimaneutralität nicht rechtzeitig zu schaffen. Und als unverzichtbare „Übergangstechnologie“ müsse Kernkraft deshalb in die grünen Investitionsregeln der EU-Taxonomie aufgenommen werden. Die Folge: Milliarden Euro für die Finanzierung der französischen Atomanlagen wären gesichert.
Polen argumentiert ähnlich: Soll dass Land aus der Kohle aussteigen, brauche man Atomkraftwerke. Sechs Energieblöcke sind geplant. Aber ohne Mittel aus den EU-Klimatöpfen, heißt es in Warschau, sei das unmöglich.
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