Für Wolfram Pyta, Experte für die Weimarer Republik und Historiker an der Universität Stuttgart, wäre es aber komplex, politische Kräfte der Gegenwart mit jenen der Vergangenheit ohne Weiteres gleichzusetzen. Neben anderen Faktoren war etwa entscheidend, dass die extreme Rechte in der Weimarer Republik in die Regierung kam, weil sie Kooperationspartner auf der rechten Seite gefunden habe, erklärte er im Deutschlandfunk. Umgekehrt gebe es aber auch eine Renaissance völkischen Gedankenguts. Inhalte der Weltanschauung der 1930er Jahre seien wieder diskursfähig geworden, so Pyta.
Etwa der Begriff der Volksgemeinschaft, mit dem Teile des deutschen Volkes ausgeschlossen werden sollten, ist ein Schlüsselelement in der Programmatik der NSDAP. Aber nicht von Anfang an. Als vor 100 Jahren im Münchner "Kindlkeller" der Vorsitzende der Deutschen Arbeiterpartei, Adolf Hitler, eine Rede hielt, donnerte er gegen den Kapitalismus, den er mit Ablehnung gegen Juden verknüpfte – sie würden den Kampf gegen die Hochfinanz verhindern, so Hitler. Wie der irische Historiker Brendan Simms herausfand, speiste sich Hitlers Antisemitismus aus Hass gegen den Westen und die angloamerikanische Kultur. Erst später kamen Slawen und Bolschewisten als Feindbild dazu – so Simms These. Hitlers "Antikapitalismus"-Rhetorik fand in den jungen Jahren der Weimarer Republik viel Zuspruch: Die politische Lage war fragil. Monarchisten, Rechtsnationale wie Kommunisten bekämpften das System, es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. In der Bevölkerung war das Misstrauen groß, Armut und Arbeitslosigkeit prägten den Alltag – darüber schwebten Kriegsniederlage und Reparationszahlungen, die Rechte als Schmach anprangerten.
Nach dem anfänglichen Verbot und einem missglückten Putsch 1923, stellte Hitler die Partei 1925 neu auf: Alles war auf ihn ausgerichtet, eine Art Bewegung entstand mit uniformierten Anhängern, die sich in regionale Verbände gliederte und in ganz Deutschland präsent war. Im Arbeitermilieu wie im national gesinnten Bürgertum kam die Propaganda an – vor allem in Thüringen.
Wenn sich Menschen gerade dort über das Verhalten der AfD sorgen, die ja zweitstärkste Kraft ist, haben sie auch diese Parallele im Kopf. Denn 1930 wurde in Thüringen die extreme Rechte nach Wahlen zum ersten Mal an einer Landesregierung beteiligt.
Thüringen sollte eine Art "Mustergau" werden. Hier erprobte man, was Jahre später im Reich umgesetzt wurde: "Säuberung" des Beamtenapparats, Einsatz von NS-gesinnten Vertrauensleuten, ein Bücherverbot und Aussortierung "entarteter" Kunst. Letztlich wurde auch das erste Konzentrationslager, fünf Wochen nach der Machtübernahme Hitlers 1933, in Nohra bei Weimar errichtet.
Faktoren, die zum Aufstieg der NSDAP führten (1920-1933)
Ausgangslage: Die bekämpfte Erste Republik
Der 1919 unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles wird als Schmach empfunden, die Reparationszahlungen an die Siegermächte und Zuweisung der Kriegsschuld führen zu Aufständen rechtsnationalistischer und linker Kräfte. Sie bekämpfen das demokratische System von Beginn an. In dieser Zeit gründet sich in München die radikal-nationalistische Deutsche Arbeiterpartei. Neun Monate später stößt Adolf Hitler dazu und wird 1920 Erster Vorsitzender der umbenannten Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei: NSDAP. Zu ihr gehören Schlägertrupps und paramilitärische Gruppen, teils formiert aus früheren Frontsoldaten. In der Weimarer Republik herrscht das Diktat der Straße. 1923 ruft Hitler die „nationale Revolution“ aus – der Putsch wird niedergeschlagen, er kommt für ein Jahr in Haft.
Neue Strategie und „salonfähiger“ durch Unterstützer
Nachdem Hitler 1924 aus der Haft entlassen wird, gründet sich die NSDAP neu. Sie will Macht auf legalem Wege durch Wahlen erhalten: Eine Bewegung soll entstehen, der Fokus liegt auf Hitler, der nun offiziell als „Führer“ bezeichnet wird. Trotz Mitgliederzuwachs, bleibt sie weiter eine von vielen kleinen radikalen Parteien. 1928 stimmen nur 2,6 % für die Nationalsozialisten. Erst mit Unterstützung und den Kampagnen des Verlegers Alfred Hugenberg, erster Medienmogul Deutschlands und Vorsitzender der erzreaktionären Deutschnationalen Volkspartei, bekommt sie mehr Einfluss und Bekanntheit.
Weltwirtschaftskrise und Polit-Chaos als Nährboden
Durch die Weltwirtschaftskrise 1929 bricht in Deutschland der kreditfinanzierte Wirtschaftsaufbau zusammen. Die Folgen: Massenarbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung - der Nährboden für den starken Zulauf antidemokratischer Parteien. Ab 1929 finden alle paar Monate Neuwahlen statt, keine Partei kann sich etablieren. In den 14 Jahren der Ersten Republik wechseln sich 20 Regierungen ab.
Unterschätzt und zum Reichskanzler gekrönt
1930 wird die NSDAP zur Zweitstärksten Kraft, zwei Jahre später zur stärksten politischen Kraft im Parlament. Paul von Hindenburg, ein Freund des Kaiserreichs, ernennt Hitler nach einem Machtpoker zum Reichskanzler, glaubt aber, ihn kontrollieren zu können. Nur wenige Wochen später nutzen die Nationalsozialisten die legale Machtübergabe und den bereits in den Jahren zuvor praktizierten Missbrauch der Notverordnungen zur Gleichschaltung und Unterdrückung aller politischen Gegner.
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