Die Verdienste der Großen Koalition

Die Verdienste der Großen Koalition
Kleinster gemeinsamer Nenner oder Basis für Österreichs Wohlstand? Ein Gastkommentar von Johannes Ditz.

In einem KURIER-Leitartikel wurde das Konzept Große Koalition als nicht erfolgreich beurteilt. Eine Regierung, die weltanschaulich in entgegengesetzte Richtungen zielt, könne gar kein Erfolgsmodell, sondern bestenfalls die beständige Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sein.

Ein Blick zurück zeigt ein anderes Bild. Die Überwindung weltanschaulicher Gegensätze durch Diskussion und Verhandlung hat in den späten 1950er-Jahren mit dem Raab-Kamitz-Kurs den Weg in Richtung Wohlstand geebnet. Die gemeinsam von ÖVP und SPÖ entwickelten wirtschaftspolitischen Leitlinien haben Inflation und Arbeitslosigkeit gesenkt und den Wohlstand erhöht. Wichtige Maßnahmen waren die steuerliche Förderung der Exporttätigkeit, gemeinsame Lohn- und Preisabkommen zur Inflationsbekämpfung, Verzicht auf Streiks und die Entwicklung sozialpartnerschaftlicher Lösungen, die nicht auf Planwirtschaft, sondern auf Markt vertrauten. Große Infrastrukturprojekte wie der Bau des Kraftwerks Kaprun halfen mit beim „nation building“ und waren weder „kleinster gemeinsamer Nenner“ noch „Packelei“. Es war der Wunsch beider Großparteien, Österreich als Wirtschaftsstandort zu positionieren und Wohlstand zu schaffen. Ein übergeordnetes Ziel, das heute zunehmend aus den Augen verloren wird.

Die Verdienste der Großen Koalition

Johannes Ditz (re.) bei einem KURIER-Interview mit Ex-Regierungskollegen Ferdinand Lacina

Konstruktiver Dialog

Den Großen Koalitionen zwischen 1987 und 1996 habe ich als Staatssekretär und später als Wirtschaftsminister angehört. Der vorangegangenen Koalition aus SPÖ-FPÖ war es nicht gelungen, die sich zuspitzenden Krisen im Budget und in der Verstaatlichten Industrie in den Griff zu bekommen. Die Staatsschulden explodierten.

In vielen Arbeitssitzungen gelang es, im konstruktiven Dialog den notwendigen Kurswechsel vorzunehmen. Der Austro-Keynesianismus, der primär auf den Staat vertraute, wurde durch eine am Modell der sozialen Marktwirtschaft orientierte Politik ersetzt, die auf Leistung, private Investitionen, Export und Unternehmensinitiative vertraute. Das Schuldenwachstum wurde eingebremst, die Staatsausgaben durchforstet und Steuersenkungen initiiert.

Mit einer auf Vereinfachung und Leistung ausgerichteten Lohn- und Einkommenssteuerreform 1989, dem neuen KöSt-Modell sowie der Abschaffung von Gewerbe- und Vermögenssteuer wurden für Wirtschaft und Steuerzahler attraktive Rahmenbedingungen geschaffen. Finanzminister Ferdinand Lacina und ich haben gemeinsam mit den Beamten des Ministeriums an vielen Wochenenden eine sozial faire und die Wirtschaft unterstützende Steuerpolitik konzipiert, die mitgeholfen hat, über Wachstum und Exportdynamik Wohlstand zu schaffen. Die SPÖ ist dabei bei vielen Maßnahmen wie z. B. der Abschaffung der Gewerbe- und Vermögenssteuer über ihren Schatten gesprungen. Mich hat die Einführung der KeSt – damals ein Tabu in der ÖVP („Hände weg vom Sparbuch“) – vorübergehend den Posten des Finanzstaatssekretärs gekostet.

Sanierung

Ein weiteres Beispiel für konstruktive, ideologische Barrieren überwindende Politik war die Sanierung der Verstaatlichten Industrie. In langen Verhandlungen gelang es mir, mit Viktor Klima (SPÖ) die Aufgabe des „Austrian Industries“-Konzeptes durchzusetzen und die Börseneinführung von VOEST, VA-TEC, Böhler-Uddeholm, OMV etc. gesetzlich vorzuschreiben. Dies brachte eine neue Kultur in die verkrusteten Unternehmen, den Managern gelang die Rückkehr auf die Erfolgsspur. Die Restrukturierungen konnten im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ohne Streiks durchgeführt werden – ein Verdienst der Großen Koalition.

Es liegt mir fern, diese Regierungsform zu glorifizieren. Es gab auch Schwächen und Fehlentwicklungen, die letzten Jahre brachten Gegensatz und Stillstand. Aber in für die Wirtschaftsentwicklung kritischen Situationen war es die Große Koalition, die mit gebündeltem Wirtschafts- und Sozial-Know-how die Weichen mittel- und langfristig richtig stellen konnte.

Nach den nächsten Wahlen wird sich die Frage der Zusammenarbeit von Mittel- und Kleinparteien stellen. Wünschenswert wäre die Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg durch Regierungsmitglieder, die das „Handwerk des Regierens“ verstehen und Österreich vor dem schleichenden wirtschaftlichen Abstieg bewahren. Mit der ideologischen Keule wird das nicht gelingen, mit problemorientierter Sachpolitik vielleicht schon.

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Johannes Ditz, ehemals Staatssekretär und Wirtschaftsminister, u. a. auch Chef des Hypo-Aufsichtsrats

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