Das Kräftemessen um die Corona-Hilfspläne beginnt
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der junge Kanzler des kleinen Österreich an der scheinbar unverwüstlichen Regierungschefin des großen Nachbarn Deutschland reibt. Sebastian Kurz und Angela Merkel, das ist ein ewiges Match. In der konservativen Parteienfamilie einander freundschaftlich verbunden, aber inhaltlich und im Stil oft weit entfernt.
Kräftemessen
Diesmal ist es der Corona-Hilfsplan, der die beiden Regierungschefs entzweit. Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben in der Vorwoche in seltener Entschlossenheit einen 500-Milliarden-Euro-Plan vorgelegt – das Geld soll in Form von Zuschüssen den besonders Corona-gebeutelten Staaten unter die Arme greifen.
Umgehend trommelte Kurz die „sparsamen vier“ zusammen, die schon bei den EU-Budgetverhandlungen Widerstand gegen eine Erhöhung des Haushaltes auf 1,1 und mehr Prozent der Wirtschaftsleistung der Mitglieder geleistet hatten: In einem Gegenentwurf wenden sich die kleinen Nettozahler gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden und bestehen darauf, dass die einmalige Nothilfe nur in Form von Krediten erfolgen könne, an Auflagen gebunden und befristet auf zwei Jahre.
Kritik aus eigenen Reihen
Heute legt die EU-Kommission ihren Vorschlag dazu vor. Den Merkel-Macron-Plan hat Kommissionschefin Ursula von der Leyen schon als „konstruktiv“ begrüßt, den der „sparsamen vier“ nahm sie „wie alle Vorschläge“ zur Kenntnis. Gegenwind erhält Kurz mit seiner bunt zusammengewürfelten Allianz (die Sozialdemokraten Stefan Löfven und Mette Frederiksen aus Schweden und Dänemark sowie der Liberale Mark Rutte aus den Niederlanden) auch aus den eigenen Reihen, schon traditionell etwa von Othmar Karas, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, oder dem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen.
Anderer Kurs
Und was treibt Kurz, sich an den Großen in der EU zu reiben? Spätestens, seit er als junger Außenminister in der Flüchtlingskrise dem „Wir schaffen das“-Mantra der Angela Merkel (und des damaligen Kanzlers Werner Faymann) entgegentrat und sich als „Schließer der Balkanroute“ stilisierte, scheint das Auflehnen ein Muster. Ob in Budgetfragen, ob beim Widerstand gegen die Verlängerung der EU-Rettungsmission im Mittelmeer, ob bei der Bewertung der EU-Sünder Ungarn und Polen, ob bei der Finanztransaktionssteuer – Sebastian Kurz fährt einen anderen Kurs.
„Er macht das nicht wie ein Oppositionspolitiker, der primär das Gegenteil macht, sondern aus Überzeugung“, sagt Politikberater Peter Hajek. Kurz halte Kredite, die zurückgezahlt werden müssen, einfach für richtig, nicht Zuschüsse. Das sei, wie sein Budgetkurs, eine Linie, die er durchziehe. Und er könne darauf hoffen, dass die Bevölkerung „im Land der Sparer“ das unterstütze – jedenfalls aber seine Konsequenz.
Andere Solidarität
Im Gegensatz zu Rechtspopulisten verweigere der Kanzler auch nicht die Solidarität, sondern „er will nur eine andere Art der Solidarität“.
„Kurz und Merkel, verschiedener geht’s nicht“, schrieb die Wirtschaftswoche schon vor drei Jahren und verwies auf den großen Altersunterschied und den völlig verschiedenen Kommunikationsstil der beiden. Hajek glaubt nicht so sehr an dieses Match, „die sind in Vielem ja auch durchaus einig“.
Vorbild für Deutsche
Dass der Kanzler, dem ja spätere Ambitionen auf dem EU-Parkett nachgesagt werden, an dem Reiben an den Großen wachsen könnte, ist dennoch wohl ein gewünschter Effekt. Auch wenn er sich mit seinem massiven Eintreten für den CSU-Mann Manfred Weber als Kommissionschef und Marc Rutte als Ratspräsident auf dem glatten EU-Parkett auch schon mal vergaloppiert hat.
Für Deutschland zumindest schreiben Bild- und Welt den Österreicher längst groß. Wie hieß es doch, als Kurz entschlossene Anti-Corona-Maßnahmen deutlich früher setzte als Angela Merkel? „So einen brauchen wir auch.“
Viele Gemeinsamkeiten
Doch was verbindet ihn mit den anderen drei Kollegen der Vierer-Allianz der Sparsamen? Und was trennt sie? Der KURIER begab sich auf Spurensuche.
Als eines der ersten Länder Europas, das in der Corona-Krise strengste Restriktionen verhängt hat, ist Österreich auch Vorreiter bei den Lockerungen – und will damit auch Erster sein, der den Wirtschaftsmotor wieder zum Brummen bringt.
In dieser Musterschüler-Rolle gefallen sich ÖVP und Grüne gleichermaßen. So harmonisch aber die Krisenbewältigung innerhalb des Landes abläuft, so schwierig wird es außerhalb: Die Grünen, so hört man, seien von Kanzler Sebastian Kurz mit dem Vorstoß der „sparsamen vier“ völlig überrumpelt worden.
Türkis-grünes Taktieren
In eine offene Konfrontation ging man nicht – hinter den Kulissen ärgert man sich aber, dass die ÖVP „wieder einmal antieuropäisch aufgefallen“ sei. Vizekanzler Werner Kogler machte deutlich, dass der Plan nicht der Linie der Regierung, sondern der ÖVP entspreche. „Es sollten auch direkte Zuschüsse für besonders hart betroffene Länder dabei sein“, sagte er – was im Widerspruch zum Vierer-Vorschlag steht. Dort war nur von befristeten Krediten die Rede.
Mittlerweile hat die ÖVP-Seite etwas eingelenkt. Finanzminister Gernot Blümel meinte am Montagabend in der "ZiB 2" auf die Frage, ob es einen Mix aus Zuschüssen und Krediten geben werde: „Ich glaube, dass man einen Schritt aufeinander zugehen kann.“
Niederlande als Schwergewicht
Ähnlich wie Österreich steht auch in den Niederlanden eine weitere Lockerung der Restriktionen wegen des Coronavirus kurz bevor. Gastronomie und Kultureinrichtungen sollen ab Anfang Juni wieder öffnen. Doch es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten mit Österreich und den anderen Corona-Hilfe-Rebellen.
„Die vier Länder hatten bereits beim EU-Budget ähnliche Vorstellungen und haben sich dadurch besser kennengelernt“, sagt IHS-Chef Martin Kocher. Man habe gesehen, dass man bei gewissen Themen gleiche Standpunkte vertrete und in Kombination eine größere Wirkung erzielen könne.
Keine Berührungsängste
Die Niederlande sind wirtschaftlich betrachtet das größte Land und haben in der EU den größten Einfluss, sagt Fabian Zuleeg, Chefvolkswirt des Brüsseler Thinktanks European Policy Centre. Dementsprechend habe auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte die Führungsrolle innerhalb der bunten Gruppe inne. Rutte ist Chef der bürgerlich-liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie.
Berührungsängste mit den Staatschefs aus anderen politischen Lagern, wie der sozialdemokratischen dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen oder dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven, ebenfalls Sozialdemokrat, gibt es angesichts des Streits um die EU-Hilfen nicht.
Dänemark - Geld vor Ideologie
Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen steht einem Kabinett vor, das nur aus sozialdemokratischen Ministern und Ministerinnen besteht. Das war zum letzten Mal Anfang der 1980er-Jahre der Fall. Trotzdem folgt sie den Plänen ihrer konservativen Amtskollegen aus Österreich und den Niederlanden.
Warum hier ideologische Gräben scheinbar mühelos übersprungen werden, hat laut Thomas Url, Finanzmarktexperte am Wifo, einen einfachen Grund: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. „Alle vier Länder haben sich bemüht, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten und die Schuldenregelung der EU in ihre Gesetzgebung zu übertragen.“ Alle vier seien Nettozahler. Wenn aus einem Kredit eine Transferzahlung werde, dann würden sie draufzahlen.
Vom EU-Markt abhängig
Schweden, Dänemark und den Niederlanden geht es laut Url wie Österreich wirtschaftlich gut.„Auch die Schuldenpolitik aller vier Länder ist ähnlich, wobei die nördlichen Länder eher Budgetüberschüsse hatten. Österreich hatte einen solchen erst im Vorjahr“, sagt Url.
Die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs, Dänemarks, Schwedens und der Niederlande würde jedoch stark von deren Exporten in den EU-Markt abhängen. Auch wenn Transferzahlungen die Kaufkraft mindern würden, so würden sie der Exportwirtschaft viel helfen.
Schweden - zurück in die Gruppe
Schweden hat trotz der Corona-Pandemie auf einen Lockdown weitgehend verzichtet. Der Wirtschaft des skandinavischen Landes geht es dennoch nicht besser als in den meisten anderen EU-Ländern. Die Kunden bleiben auch ohne Lockdown und Wiedereröffnung aus. Das Land hat aber triftige Gründe, sich den sparsamen vier anzuschließen.
Es zählt – ähnlich wie Österreich – zu den vom Merkel-Macron-Plan am stärksten betroffenen Beitragszahlern, noch vor Dänemark, den Niederlanden und Deutschland. Noch heftiger wären die Auswirkungen für bisherige Empfängerländer wie Polen, Rumänien und Malta – aus diesen Ländern gibt es bisher trotzdem noch keinen Widerstand.
Viel zu verlieren
Gemeinsam hätten die vier Länder die Mittel, das Vorhaben zu Fall zu bringen, sagt Fabian Zuleeg, Chefvolkswirt des Brüsseler Thinktanks European Policy Centre. Für wahrscheinlicher hält er es aber, dass es nicht so weit kommen wird.
Denn im Notfall würde die EU statt des Merkel-Macron-Plans ein anderes ähnliches Projekt auf die Beine stellen, das auch funktionieren und nicht so leicht zu verhindern wäre. Und wenn die vier „sparsamen“ Staatschefs dann diesem Kompromiss zustimmen müssten, würden sie ihr Gesicht verlieren.
Noch aus einem anderen Grund sollten sie es nicht zu weit treiben: Die Bevölkerung trage ihren Standpunkt – anders als beim EU-Budget – nicht geschlossen mit.
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