Das Ende der Supermacht? Warum die USA ihre Kriege verlieren
Die gewaltigste Armee der Welt konnte den Sieg der Taliban nicht verhindern. Es ist nicht das erste mal, dass die Amerikaner geschlagen zurückkehren. Ist die Dominanz der USA vorbei?
Mit Schadenfreude quittierten Chinas gelenkte Medien die Niederlage der USA in Afghanistan: Die „Machtübernahme am Hindukusch verläuft sogar noch reibungsloser als die Übergabe der Präsidentschaft in den USA“, wurde da gewitzelt.
Die mächtigste Armee der Welt – ein Papiertiger, besiegt von nicht einmal hunderttausend radikalen Islamisten? Die Vereinigten Staaten führen ihre Truppen aus dem längsten Krieg, den sie je kämpften, geschlagen und Chaos hinterlassend nach Hause.
Es ist nicht der erste Krieg, den die USA trotz ihrer überwältigenden militärischen Macht verloren haben. Da waren die verlustreichen Kämpfe in Korea (1950–53).
Da folgte eine Generation später die demütigende Niederlage in Vietnam.
Nach zwölf Jahren Besatzung, die eine Spur politischer Verwüstungen im ganzen Nahen Osten hinterließ, zog Washington 2011 seine letzten Kampftruppen aus dem Irak zurück.
Und nun Afghanistan: 20 Jahre lang Krieg am Hindukusch – und alle strategischen, militärischen und politischen Ziele der USA für Afghanistan haben sich in Luft aufgelöst.
1964 –1973
Auf der Seite Südvietnams kämpften die USA gegen den kommunistischen Norden – mit verheerenden Folgen: Millionen Opfer unter den Zivilisten, 55.000 tote US-Soldaten, schwerste Kriegsverbrechen, attackierte Nachbarländer.
In den USA wuchs der Widerstand der Bevölkerung gegen den Krieg im Fernen Osten massiv. Blitzartig mussten die USA abziehen. Die Bilder von der Evakuierung der US-Botschaft in Saigon sind unvergessen.
Von einer liberalen Demokratie mit Frauen- und Minderheitenrechten, Pluralismus und Meinungsfreiheit ist Afghanistan unter Kontrolle der Taliban heute wieder genauso weit entfernt wie vor dem Einmarsch der USA.
„Wenn Kriege lange dauern, sie verlustreich sind und offensichtlich wird, dass man sie nicht gewinnen kann, ziehen sich die USA immer zurück“, bestätigt USA-Experte und Politik-Professor Heinz Gärtner. Und das kam ihren Präsidenten durchaus – in Form ihrer Wiederwahl – zugute. „Auch Joe Biden wird langfristig gesehen eher profitieren“, mutmaßt Gärtner, „selbst wenn der Präsident derzeit massiv kritisiert wird. Aber bis zu den nächsten Wahlen wird das vergessen sein. Dann wird nur zählen, dass er den Krieg in Afghanistan beendet hat.“
1982–1984
Im Oktober 1983 zündeten schiitische Terroristen eine riesige Autobombe in einer amerikanischen Marinekaserne in Beirut. Dabei kamen 241 US-Soldaten ums Leben.
Sie waren dort seit 1982 als Teil einer multinationalen Stabilisierungstruppe stationiert. US-Präsident Ronald Reagan ordnete erst nach dem massiv gestiegenen Druck im eigenen Land den Abzug des US-Militärs aus dem nahöstlichen Bürgerkriegsland an.
1992–1993
Es begann als humanitäre Hilfsaktion für das kriegsgebeutelte Somalia – und endete als eine der größten Demütigungen in der US-Militärgeschichte.
Mehrere US-Hubschrauber wurden abgeschossen („Black Hawk down“). Somalier schleiften die Leichen getöteter US-Soldaten durch die Straßen Mogadischus. Bilder, die die USA schwer schockieren.
US-Präsident Bill Clinton ordnete den sofortigen Abzug aus Somalia an.
Doch was bleibt von einem Hegemon, der alle seine wichtigen militärischen Auseinandersetzungen der vergangen 70 Jahre verloren hat? Ist das Ende der amerikanischen Dominanz angebrochen?
In China könnten sich jene Kräfte bestätigt sehen, die an den Niedergang der USA glauben. Das erhöht die Gefahr militärischer Abenteuer auf chinesischer Seite. Stichwort: Chinas Appetit auf Taiwan.
Oder Russland könnte angesichts der vermeintlichen Schwäche der USA dazu verlockt werden, militärisch in der Ostukraine loszuschlagen.
„Die USA werden eine Supermacht mit enormem Einfluss bleiben“, ist Experte Gärtner überzeugt, „aber auf große Kriege, bei denen Bodentruppen zum Einsatz kommen“, würden sie sich so bald nicht wieder einlassen. Das mache etwa einen drohenden Waffengang gegen den Iran unwahrscheinlich. „Kleinere Konflikte oder Lufteinsätze“ werde es aber weiterhin geben.
Geheimdienst-Versagen
2003–2011
Die USA begründeten die Militärintervention mit einer Lüge: Saddam Hussein, gegen den die USA schon 1991 militärisch vorgegangen waren, habe Massenvernichtungswaffen.
Man hoffte: Nach einem „Regimewechsel“ werde der ganze Nahe Osten demokratisch.
Die Wahrheit: Tausende Tote, der Staat gilt bis heute als gescheitert, die Terroristen des „Islamischen Staates“ formierten sich. Die gesamte Region ist bis heute instabil. Die USA mussten abziehen.
Neuerlich lagen die US-Geheimdienste fatal daneben: Die mit Milliarden Dollar hochgerüstete afghanische Armee, die sich blitzartig in Luft auflöste oder die Taliban, die rasend schnell die Macht kaperten – all dies haben CIA und Militärgeheimdienste falsch eingeschätzt.
Und als falsch erwies sich auch das politische Ziel des Afghanistan-Einsatzes, nämlich eine von alten Traditionen geprägte Gesellschaft nach US-Vorbild umzubauen. Das hat schon im Irak nicht funktioniert, wo einst George W. Bush einen „Leuchtturm der Demokratie“ hatte errichten wollen. In Afghanistan scheiterte die Vision ebenso.
„Ein Land zu besiegen, das sich im Wesentlichen aus rivalisierenden Kriegsparteien zusammensetzt und dort Frieden und eine neue politische Kultur durchzusetzen, lag immer außerhalb der Möglichkeiten Washingtons“, schreibt der US-Politologe und Publizist George Friedman.
Im Stich gelassen
Knapp 120.000 Afghanen haben während der 20 Jahre dauernden Kämpfe, Luftangriffe und Anschläge ihr Leben gelassen – ebenso wie 3.000 US-Soldaten.
Eine weitere Folge der amerikanische Niederlage: Ein herber Vertrauensverlust der militärischen Verbündeten der USA. „Einige Staaten, die bisher glaubten, sie könnten sich immer auf die Militärhilfe der USA verlassen, werden sich nun Sorgen machen“, sagt Heinz Gärtner.
Allen voran die europäischen NATO-Staaten: Sie mussten in Afghanistan die bittere Erfahrung machen, dass sie sich keinen Tag halten können, sobald die USA abziehen.
Auch die kurdischen Kämpfer in Syrien lernten es auf die harte Tour. Ex-US-Präsident Trump blies vor zwei Jahren Tausende US-Soldaten zurück, ließ die verbündeten Kurden im Stich – und ermöglichte so den Truppen der Türkei, ins Kurdengebiet einzumarschieren.
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