Wir haben also die Neutralität lieb gewonnen, weil sie uns im Glauben lässt, sicher zu sein. Wir blicken gerne auf die Schweiz, die schon 1815 beim Wiener Kongress als neutral anerkannt wurde und sämtlichen Kriegen entgangen ist. Die Grundannahme war auch bestechend: Nach dem Zweiten Weltkrieg standen einander zwei erbittert verfeindete militärische Blöcke gegenüber: die NATO und der Warschauer Pakt. Die Gefahr, dass aus dem Kalten Krieg rasch ein echter werden könnte, war latent. Die Neutralität, so schien es, würde uns bei einer militärischen Konfrontation außen vor lassen. Dazu kommt, dass uns die Einigung mit den Besatzungsmächten auf die Neutralität ein Schicksal Deutschlands erspart hat. Genauso gut hätte man Österreich in ein West- und ein Ost-Österreich teilen können. Niederösterreich und das Burgenland wären zu einer rot-weiß-roten DDR, Wien wäre geteilt worden. Der Kommunismus hätte das Wachstum unseres Wohlstandes bis spät in das letzte Jahrhundert hinein verlangsamt bis verhindert.
Doch heute, fast 70 Jahre später, ist die Welt eine andere. Wir sind 1995 der EU beigetreten und haben uns verpflichtet, an der gemeinsamen Sicherheitspolitik teilzunehmen. Wir würden im Fall eines Angriffs auf unser Land von der Beistandspflicht der anderen EU-Länder profitieren, was aber nicht heißt, dass wir unser Heer nicht – so wie jetzt endlich eingeleitet – aufrüsten müssen. Wir sind mittlerweile umgeben von den NATO-Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien. Und vor allem: Wir haben ein werteorientiertes, liberales, die Menschenrechte hochhaltendes Lebensmodell gewählt und lieben gelernt, das wir verteidigen müssen. Gegen militärische Bedrohungen eines verrückt gewordenen Diktators oder terroristische Angriffe religiös fanatisierender Banden, die unsere Lebensweise attackieren.
Wir sollten daher den Inhalt unserer Neutralität ernsthaft, ruhig und sachlich diskutieren. Sie kann sich am Ende als die beste Form herausstellen. Vielleicht muss man sie ehrlich (und nicht verlogen) neu definieren. Oder man kann sie aufgeben und der NATO oder einem neuen EU-Militärbündnis beitreten. Der 26. Oktober kann ja dann noch immer ein Feiertag unseres freien Lebens in einem großartigen Land bleiben.
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