Viele Monate vor der Pandemie, in einer Zeit, in der es noch absurd erschien, dass ein europäisches Land militärisch überfallen wird, da wurde im Bundesheer eine Analyse erstellt, an der nur eines harmlos war: ihr Name.
"Unser Heer 2030" hieß der Bericht, in dem der damalige Verteidigungsminister nachgerade Unerhörtes festhielt. Denn Thomas Starlinger schrieb, dass "der Schutz der Bevölkerung schon heute nur sehr eingeschränkt gewährleistet werden kann". Und in der Tonart ging es weiter: Quartiere seien baufällig, die Ausrüstung antiquiert, ganze Waffensysteme wie die alten Saab-Jets seien de facto ein Fall fürs Museum.
Am maroden Zustand der Armee hat sich seit 2019 nichts Fundamentales geändert. Doch seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ist die Haltung zum Heer eine andere.
Deutschland will zusätzliche 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren, und Österreich zieht nach: Die Regierung hat einen beispiellosen Anstieg des Wehrbudgets in Aussicht gestellt. "Um alle Herausforderungen zu erfüllen, brauchen wir ab heuer ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts", sagte am Freitag Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Das wären, je nach wirtschaftlicher Entwicklung, zwischen 4,3 und 4,5 Milliarden Euro – und damit um zumindest 1,6 Milliarden Euro mehr als jetzt.
Was kann, was soll mit diesem Geld geschehen? Woran hapert es in der Armee? Die schlechte Nachricht lautet: an allem. "Es gibt im Bundesheer keinen Bereich, in dem kein Modernisierungsbedarf besteht", sagt Österreichs ranghöchster Soldat, Generalstabschef Robert Brieger.
Russlands Angriffskrieg zeigt eindrücklich: Kriege werden weiterhin auch "konventionell", also mit Flugzeugen, Panzern und Soldaten bestritten. "Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, dass beispielsweise die Bedrohung aus der Luft eine reale ist. Deshalb brauchen wir eine funktionierende Drohnen- und Fliegerabwehr – die wir nicht haben", sagt Günter Höfler. Der Generalleutnant war Kommandant des Streitkräfteführungskommandos und bis 2017 Leiter der Militärvertretung in Brüssel.
Zweisitzer
Vereinfacht gesagt zeigt der Ukraine-Konflikt auf der ukrainischen Seite, was Österreichs Armee können müsste. Die Lufthoheit ist das eine. Sie erfordert moderne Radar-Systeme, zeitgemäße Fliegerabwehr-Raketen und Jets in ausreichender Zahl und Qualität. All das ist in Österreich nur bedingt gegeben. "Wir haben 15 Eurofighter ohne Selbstschutz oder leistungsfähige Raketen", sagt Höfler. "Wir sind in der Lage zu sichten, aber nicht zu sichern."
Generalstabschef Brieger würde zudem die Hubschrauberflotte erneuern und einen Eurofighter mit zwei Sitzen beschaffen – damit Österreich selbst Piloten ausbilden kann und nicht auf fremde Staaten angewiesen ist.
Veraltete Systeme
Mit der Luft ist es aber nicht getan: Zu ebener Erde müssen die Soldaten sicher und schnell unterwegs sein können. Das bedeutet: Sie brauchen gepanzerte Fahrzeuge. Und: Sie benötigen moderne Waffensysteme, um sich verteidigen zu können – etwa gegen herannahende Panzer. "Wir haben da ein schwedisches Waffensystem, BILL genannt", sagt Höfler. "Allerdings ist das veraltet und auch nicht in der nötigen Stückzahl vorhanden." Ähnliches gilt für Mistral, eine Flugabwehr-Rakete. "Auch dieses System ist veraltet."
Der akute Bedarfskatalog lässt sich um hunderte Posten verlängern: Da finden sich Nachtsichtgeräte, damit Soldaten auch nachts bewachen und kämpfen können; da fehlen schneetaugliche Fahrzeuge für die Aufklärer und technische Upgrades für die alten Leopard-Panzer. Allein die EDV für die Cybersoldaten braucht Investitionen über eine dreiviertel Milliarde.
Aus Sicht der Militärs ist das Budget nicht das einzige Problem. Die Zeit ist beim Kauf von Waffen und Gerät ein erheblicher Faktor. Ausschreibung, Produktion, Auslieferung und Ausbildung: All das braucht zum Teil viele Jahre. Zeit, die Österreich nur bedingt hat. Noch einmal Generalleutnant Höfler: "Die Schweden und die Finnen sind hochgerüstet, wir nicht. Es ist Zeit zu handeln. Konzepte gibt es bereits genug."
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