Wir, eine liberale Gesellschaft – echt jetzt?

Martina Salomon
Freie Meinungsäußerung, mündige Bürger: haben wir theoretisch. Doch praktisch gibt es wenig Interesse daran.
Martina Salomon

Martina Salomon

Wahrscheinlich können das alle unterschreiben (so sie des Lesens kundig sind): Wir sind eine liberale Gesellschaft. Klingt gut und progressiv, stimmt aber nicht. Man betrachte nur die heimische Lust an der Überregulierung. Ist etwas zu laut, zu teuer, zu billig, zu unbequem, gar klimaschädlich oder könnte jemandem in welcher Form auch immer auf die Zehen fallen – dann her mit einem neuen Gesetz! Am besten als Verfassungsbestimmung und noch schärfer als die ohnehin oft überzogenen EU-Richtlinien. Neue Geschäftsmodelle wie Airbnb und Uber werden lieber gesetzlich beschränkt. In Stadtzentren sind Geschäfte sonntags noch immer geschlossen, selbst im Advent. Soll der Bürger doch bei Amazon kaufen!

Nicht einmal bei der freien Meinungsäußerung sind wir liberal. Oft sind sogar jene am restriktivsten, die sich besonders liberal geben, dies aber mit „links“ verwechseln: Wie sonst sind Studenten-Störaktionen gegen den Historiker Lothar Höbelt und gegen die Feministin Alice Schwarzer zu erklären? Ihr wird „antimuslimischer Rassismus“ vorgeworfen, Höbelt als „Nazi“ abgestempelt, seine Entlassung gefordert. Statt die Universitäten als Ort der scharfen, aber gepflegten Kontroverse zu verstehen, gibt es selbst dort (auch international) immer absurdere Verbotsversuche. Etwa den Ruf nach einem „safe space“, wo nichts diskutiert werden darf, was Sensiblere verstören könnte. Kein Wunder, dass sich laut Umfragen immer mehr Menschen ihre Meinung nicht mehr offen zu bekennen trauen. Das hat in Deutschland immerhin zu einer großen Debatte geführt, in Österreich leider nicht. Von Integration bis Klimanotstand: Die Zahl der Denkge- und -verbote wird immer größer.

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