Wer ist schuld?

Martina Salomon
Wenn immer alle einen Sündenbock brauchen, wird bald niemand mehr Verantwortung übernehmen wollen
Martina Salomon

Martina Salomon

Keine Frage wird öfter gestellt: „Wer ist schuld?“ An der Corona-Krise zum Beispiel und an ihren Auswirkungen. Wenn irgendwie alles machbar ist, darf es keine Zufälle und keine schicksalhaften Verläufe geben. Und jemand muss schließlich einen Plan für alle und alles haben. Man ruft daher nach einer starken Führungspersönlichkeit, empört sich aber in der nächsten Sekunde über die autoritäre Freiheitsbeschränkung. Wagt ein Entscheidungsträger, seinen Entschluss aufgrund triftiger Einwände zu revidieren, wirft man ihm Zickzack-Kurs vor. Willkommen in der Welt der Politik!

Dass auch Regierungen, und zwar weltweit, von dieser Pandemie überrumpelt waren und nicht auf alles gleich eine schlüssige Antwort hatten (nicht einmal die Experten sind ja einig), ist schwer zu akzeptieren. Besonders für jene, die von der Krise besonders hart gebeutelt sind. Es erleichtert, wenn man seine ohnmächtige Wut auf jemanden projizieren kann. Die Kehrseite dieser ständigen Schuldigensuche ist die Angst vor Verantwortung. Sie verführt zum Weiterdelegieren: Richter an Sachverständige, Pädagogen an die nächste Bildungseinrichtung, Ärzte an Spitäler, Manager an Berater, Politiker an Experten oder an die jeweils nächsthöhere Instanz, sprich: das Land zeigt auf den Bund, die Bundespolitik auf die EU, diese wiederum (nicht ganz zu Unrecht) zurück auf die 27 Einzelstaaten.

Die Angst vor Verantwortung erhöht außerdem den Hang zu bürokratischen Pseudo-Regeln. Diese Absicherungspolitik ist bei Corona gut sichtbar anhand seitenlanger Verhaltensvorschriften, (unbenutzter) Desinfektionsmittel, Fiebermessstationen, sinnloser Kontrollen. Am Ende können alle behaupten, das Menschenmögliche getan zu haben, also nicht schuld zu sein. Und was ist mit Selbstverantwortung? Würde als „neoliberale“ Zumutung geächtet.

Wer übernimmt also letztlich wirklich die Verantwortung, wenn etwas schief geht? Die Politik nicht, die habe dafür ja gar keine Zeit, hat der bayerische Kabarettist Gerhard Polt einmal in einem Sketch gewitzelt und die Figur des Responsabilisten erfunden, den man praktischerweise via Leihfirma bestellt, um einen Schuldigen zu haben, der dafür auch gleich wieder gekündigt werden darf. Genial.

Im wirklichen Leben wäre es manchmal wohltuend, wenn jemand sagt: Da haben wir einen Fehler gemacht, wir haben uns geirrt, sind klüger geworden, es tut uns leid. Schließlich sollte die Zeit der erratischen Führungspersönlichkeiten, die keinen Widerspruch dulden und sich unfehlbar fühlen, eigentlich vorbei sein. Ist sie aber nicht. Schade eigentlich! Sollten Sie mit dem Inhalt dieses Kommentars nicht einverstanden ein: Die Autorin übernimmt die volle Verantwortung dafür – obwohl: Irgendwer hätte ihn doch korrigieren können :-)

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