Wer braucht noch Sozialdemokraten?

Parteien werden immer mehr zu Wahlvereinen, die vom Charisma der Führungsperson abhängig sind.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Pamela Rendi-Wagner soll also die SPÖ retten. Das erinnert an die Geschichte des Kopierriesen Xerox, der Ende des 20. Jahrhunderts jegliche Innovation versäumte und mit wechselnden männlichen Managern versuchte, aus der Krise zu kommen. Als alles verloren schien und die Aktie 90 Prozent ihres Wertes verloren hatte, setzte man endlich eine Frau ein: Die damals 50-jährige Anne Mulcahy, übrigens eine gelernte Journalistin. Sie hat Xerox dann gerettet.

Die Managerin Anne Mulcahy konnte damals mit vernünftigen Maßnahmen und einem klaren Zeitkonzept den Konzern retten. Der Politikerin Pamela Rendi-Wagner wird niemand eine Schonfrist zugestehen, die eigene Partei am wenigsten. Die zuletzt oft gehörte Formulierung von SPÖ-Politikern, die neue SPÖ-Führung müsse „große politische Erfahrung“ haben, konnte ja schon als vorauseilendes Misstrauen gegen die Frau gelten, die nur neun Monate ein Ministerium geführt hat.

Wahlen werden zunehmend zu Abstimmungen über Personen oder im Idealfall Persönlichkeiten, denen es gelingen muss, mit den Emotionen der Wählerinnen und Wähler zu spielen. Da spielen Hoffnungen eine eher schrumpfende Rolle, Ängste eine wachsende. Wer regieren will, muss das berücksichtigen.

Die SPÖ, die in manchen Bereichen und Organisationen aber auch noch ideologisch geprägt ist, muss sich zusätzlich der Frage stellen, wer überhaupt noch Sozialdemokraten braucht. Ralf Dahrendorf, der große liberale Denker und Politiker – diese Kombination ist besonders wünschenswert –, hat schon im Jahr 1983 das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ ausgerufen. „In seinen besten Möglichkeiten war das Jahrhundert sozial und demokratisch. An seinem Ende sind wir (fast) alle Sozialdemokraten geworden.“ Definiert sei das sozialdemokratische Jahrhundert durch „Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internationalismus“.

Sozialdemokratie als europäische Baustelle

Aber schon 1983 verlangte Dahrendorf mehr von der Politik: Mehr Unternehmertum und weniger Bürokratie. Und zwar nicht als Selbstzweck, sondern um die Errungenschaft des Wohlfahrtsstaates zu bewahren.

Im radikalen Wandel, in der Disruption aller Arbeits- und Lebensbereiche durch die Digitalisierung könnte die Sozialdemokratie eine neue Rolle spielen. Sie steht sich aber im Weg, weil sie die Leistungen des Staates noch immer für das Wesentliche hält, nicht die Freiheit des Bürgers. Diese Freiheit mag manchmal eine erzwungene sein, wenn Menschen, die keinen Job finden, sich selbstständig machen. Aber wer vertritt diese Unternehmer, auf die keine marxistische Analyse passt, weil sie nicht andere, sondern sich selbst ausbeuten?

Die Krise der Sozialdemokratie ist ein europäische Erscheinung. Auf die (Abstiegs)ängste reagieren die rechten Populisten geschickter, sie befördern diese sogar und profitieren davon. Die veränderte Wirtschaft bringt eine neue soziale Frage – nur, auf diese haben die Sozialdemokraten bisher keine Antwort.

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