Schlag nach bei Thomas Klestil

Schlag nach bei Thomas Klestil
Dass Van der Bellen Kickl nicht als Kanzler möchte, ist wenig verwunderlich. Im Ernstfall wird er freilich wenig dagegen tun können.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Die Angelobung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen für seine zweite Amtszeit hat eine Debatte ausgelöst, für die es erst in etwa eineinhalb Jahren Anlass gegeben hätte: Was tun, wenn die FPÖ unter ihrem Parteichef Herbert Kickl als stärkste Partei aus den (regulär im Herbst 2024 stattfindenden) nächsten Nationalratswahlen hervorgeht? Anlässlich des Festakts im Parlament bat der ORF den alten neuen Präsidenten am Vorabend zu einem großen Interview: „20 Fragen an Alexander Van der Bellen“. (Man muss im Übrigen weder zu den uneingeschränkten Bewunderern von VdB gehören noch habituell den ORF unter den Glassturz stellen, um anzuerkennen, dass das ein in Dramaturgie wie Interviewführung durchaus gelungenes, unterhaltsames Format war, Politainment im guten Sinn.)

Und Van der Bellen nützte das Forum, um erstmals auf die ihm schon früher so oder so ähnlich gestellte Gretchenfrage der österreichischen Innenpolitik für seine bzw. staatsoberhäuptliche Verhältnisse relativ klar zu antworten. Dahingehend nämlich, dass – so darf man es wohl interpretieren – er alles tun wird, dass Kickl auch als Chef der stärksten Partei nicht Bundeskanzler wird.

Das ist in der Sache nun nicht überraschend, derzeit, wie gesagt, auch gar nicht aktuell, politisch aber doch brisant, weil zufälligerweise die Angelobung und das Interview wenige Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl stattfanden, welche wohl neuerlich den Höhenflug der FPÖ bestätigen wird. Weswegen manche meinen, es sei unklug von VdB gewesen, sich jetzt dazu zu äußern, weil man damit der FPÖ ermögliche, sich in die auch stimmenmaximierende Märtyrerpose zu werfen (was sie auch bereits getan hat).

Andererseits: Wann, wenn nicht zu Beginn seiner zweiten Amtszeit, nach der er nichts mehr werden kann und muss, sollte ein Bundespräsident wirklich sagen, was er denkt? Das hat er dann auch bei seiner Rede vor der Bundesversammlung getan, die wohl seine bisher beste war – ob man nun seine Positionen im Einzelnen alle teilt oder nicht.

Sagen, was er denkt, ohne Rücksicht – das kann und wird VdB künftig wohl verstärkt tun, darf man nach Interview und Rede annehmen. Freilich, und damit sind wir wieder bei der Gretchenfrage: Tun, was er will, wird er dennoch nur eingeschränkt können. Auch er wird sich wie jeder seiner Vorgänger bei der Regierungsbildung an die Mehrheitsverhältnisse im Parlament halten müssen.

Alles andere sind theoretische Spielereien für verfassungsrechtliche Feinspitze, würde aber in der politischen Praxis eine veritable Krise auslösen. Das von VdB so betonte Recht, jeden und jede zum Bundeskanzler ernennen zu können, stößt in der Realität sehr schnell an Grenzen. An Stellschrauben drehen lässt sich vielleicht in Gesprächen hinter der berühmten Tapetentür, aber mehr nicht. Schlag nach bei Thomas Klestil.

Porträt von Journalist Michael Löffelberger vor dem Schriftzug „Kurier Kommentar“.

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