Werden wir künftig 32 Stunden bei vollem Lohn arbeiten?
Martin Meyrath
06.06.23, 20:33Sandra Baierl
06.06.23, 20:33Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler fordert die 32-Stunden-Woche bei vollen Lohnausgleich. Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer hingegen geht davon aus, dass wir in Zukunft nicht weniger, sondern mehr arbeiten werden müssen.
Auch in der KURIER-Redaktion liegen die Standpunkte zu dem Thema weit auseinander.
Pro:
Vier von fünf Vollzeit-Beschäftigten in Österreich würden gerne weniger Wochenstunden arbeiten. Aber können wir uns das leisten? Dafür spricht, dass die Produktivität pro Arbeitsstunde in den vergangenen 30 Jahren inflationsbereinigt um 40 Prozent gestiegen ist. Wir schaffen also mehr in der gleichen Zeit. Möglich ist dies vor allem durch den technischen Fortschritt.
Mehrere internationale Feldversuche sind zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit zu einer Erhöhung der Produktivität pro Arbeitsstunde geführt hat: Die Beschäftigten waren besser erholt, motivierter und weniger oft krank. Dieser Effekt wäre allerdings nicht in allen Branchen zu erwarten. Dort, wo die Produktivität direkt mit der Anwesenheit zusammenhängt, wären voraussichtlich mehr Köpfe nötig, um das gleiche Arbeitspensum zu erledigen. Diese Leistungen würden also teurer werden.
Das betrifft zum Beispiel die Pflege – und just in der Sozialwirtschaft haben sich die Sozialpartner zuletzt auf eine Verkürzung der Arbeitszeit geeinigt. Die Arbeitgeber hoffen, dass durch die geringere Arbeitsbelastung die Fluktuation sinkt. Und das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, genug Arbeitskräfte in dem Sektor zu halten.
In traditionell schlecht bezahlten Branchen mit hohem Teilzeitanteil wäre eine Arbeitszeitverkürzung (nach Jahren der Reallohnverluste) effektiv eine Lohnerhöhung. Der größte Teil dieses Geldes würde bald als Konsum in die Volkswirtschaft zurückfließen – also die Nachfrage stärken.
Martin Meyrath ist Wirtschaftsredakteur
Contra:
Es ist noch nicht lange her, da hat man sich davor gefürchtet, dass Roboter uns die Arbeit wegnehmen. Von einer Grundsicherung war die Rede, weil schon bald die künstliche Intelligenz übernehmen würde – und uns alle arbeitslos macht.
Nun: Ist nicht passiert und wird auch nicht passieren. Im Gegenteil. Noch nie waren so viele Menschen in Österreich in Beschäftigung wie heute, es gibt zudem rund 200.000 offene Stellen – Tendenz stark steigend. Was Wirtschaft und Industrie brauchen, sind also Arbeitskräfte, um das Geschäft am Laufen zu halten.
Dass man abseits der Realität von einer 32-Stunden-Woche träumt, noch dazu bei vollem Lohnausgleich, ist lieb, aber nicht umsetzbar. Weil für die Unternehmen – auch im Hinblick auf den ohnehin schon teuren Standort Österreich und im internationalen Wettbewerb – nicht finanzierbar. Eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn würde „Arbeit“ massiv verteuern.
Es kommt noch dicker. Das Arbeitsvolumen ist das Fundament für Wohlstand und die Finanzierung des Sozialstaats. Aktuell steigt die Last darauf, nämlich die Zahl der Pensionen. Und das Fundament, die Zahl der Erwerbstätigen, schwindet. Mit einer Arbeitszeitverkürzung würde dieses System einbrechen. Die schlechte Nachricht für alle Träumer ist also, dass wir es schaffen müssen, die Menschen sogar länger arbeiten zu lassen. Denn Österreich ist ein Land mit überdurchschnittlich hohen Teilzeitquoten, 50,7 Prozent der Frauen arbeiten halbtags. Hier liegt Potenzial, das wir dringend brauchen.
Sandra Baierl ist Ressortleiterin JOB
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