Mahrer: "Wir werden mehr arbeiten müssen, nicht weniger“

WKO-Präsident Harald Mahrer
Der Wirtschaftskammer-Präsident über die 4-Tage-Woche, Gewesslers „Tabulos-Liste“, ÖVP-FPÖ-Koalitionen und die größte Umverteilungsaktion der Geschichte.

Eine Rückkehr in die Bundespolitik schließt er aus, dafür schießt er im Gespräch gegen sie. Harald Mahrer über „unfassbar populistische Debatten“, die „Droge Staat“ und fehlende Solidarität.

KURIER: Klimaministerin Leonore Gewessler erwägt laut Profil, die CO2-Steuer von derzeit 32,5 Euro/Tonne 2025 auf 120 und 2030 auf 240 Euro/Tonne zu erhöhen. WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf ist dafür, sie auszusetzen. Wofür sind Sie?

Harald Mahrer: Kopf wollte, dass die Steuer nicht weiter angehoben wird. Bereits letzten Herbst haben wir Vizekanzler Werner Kogler und Ministerin Gewessler gesagt, dass wir im besten Fall ein Gleichziehen mit dem deutschen Pfad wollen. Ideen kann man viele haben, aber ob sie für die österreichische Volkswirtschaft gut sind ist eine andere Frage. Die Populisten links und rechts an den Rändern überbieten sich derzeit mit Ideen aus dem Elfenbeinturm, der Mottenkiste oder mit den Wohlstand gefährdenden Plänen.

Bleiben wir bei Gewesslers Idee, die sich als Lenkungsmittel versteht …

Es kann nur ein Lenkungsmittel sein, wenn ich das entsprechende Angebot habe – aber das gibt es nicht. Und das ist auch Teil unserer Inflationsproblematik. Die Populisten reden lieber über die Gierflation, anstatt über die Greenflation zu reden. Die entsteht, wenn ich einen großen Veränderungswunsch habe, aber das Angebot fehlt. Es gibt beispielsweise keinen Plan, wie man unsere 40 Terawattstunden-Stromlücke schließt.

Der Wiener (Jg. 1973) promoviert 2000 in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. 2014 wechselt Mahrer von der Privatwirtschaft in die Politik, wird Staatssekretär für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Nach dem Rücktritt von ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner übernimmt er im Mai 2017 Wirtschaftsministerium. 

Wirtschaftskammer (WKÖ)
Im Dezember 2017 wird Mahrer Präsident des Österreichischen Wirtschaftsbundes, 2018 zum Nachfolger von Christoph Leitl als WKÖ-Präsident gewählt. 2025 stellt er sich der Wiederwahl.

Ist die Forderung dann unehrlich oder unredlich?

Es gibt im Klimaministerium scheinbar eine Liste für tabuloses Denken. Da kann man vieles draufschreiben! Wenn man die „Tabulos-Liste“ in eine „Realismus-Liste“ transformiert, dann muss man viele Dinge streichen.

Was wäre Ihr Emissionspreis?

Wir haben bei der ökosozialen Steuerreform einen Pfad skizziert, der im Gleichklang mit der deutschen Entwicklung steht, weil Deutschland unser wichtigster Handelspartner ist. Die ökologischen Zielsetzungen müssen Balance halten mit den sozialen Fragen. Die Deutschen überlegen gerade, welche kleinere Anpassungsschritte sie 2024 machen und daran sollten wir uns orientieren. Die Frage, wo der ganze Strom herkommt, der muss ehrlich beantwortet werden.

Was ist die ehrliche Antwort?

Angeblich gibt es Energiequellen, die uns keine Rechnung schicken werden, wie uns Ministerin Gewessler gesagt hat. Also Sonne und Wind stellen uns keine Rechnung, aber die Photovoltaik- und Windkraftbetreiber sehr wohl. Am Ende des Tages schickt uns jeder eine Rechnung. Das Marktdesign per se ist schlecht – unabhängig des Ukraine-Krieges – allein schon vor dem Hintergrund der Energiewende.

Die erhöhte Pendlerpauschale läuft Ende Juni aus. Soll sie verlängert werden?

Solange es keine Wahlmöglichkeiten beim Verkehr gibt, muss man Pendler unterstützen. Generell bin ich dafür, das System grundlegend neu zu denken.

Die Inflation in Österreich beträgt 9,7 Prozent, in der Eurozone sind es nur 7 Prozent. Wie sehr wird das mittelfristig zum spürbaren Wettbewerbsnachteil?

Wir hoffen, dass wir den Unterschied verkleinern können. Wenn die Differenz mittelfristig bis 2025, 2026 so bleiben würde, dann hätten wir einen enormen Wettbewerbsnachteil für Österreichs Exportwirtschaft. Das wäre dramatisch, denn ein Großteil unserer Bruttowertschöpfung kommt aus dem Export.

Wodurch erklären Sie sich die anhaltend hohe Inflation?

Wir haben stärkere Nachholeffekte beim Konsum als andere Länder. Das am meisten ausgesparte Thema in der öffentlichen Debatte sind die negativen Realzinsen. Wenn ich beim Sparen 1 bis 2 Prozent bekomme, die Inflation aber bei 9,7 Prozent liegt, dann ist mein Geld im Schnitt um 8 Prozent weniger wert. Die Leute können rechnen, sagen sich: „Ehe das Geld noch weniger wert ist, gebe ich es jetzt lieber aus.“ Zudem haben die Hilfsmaßnahmen der Regierung die Nachfrage gestützt.

Die Regierung hat drei Anti-Teuerungspakete verabschiedet, gerade ein Paket gegen Armut verabschiedet. Sie bezeichnen sich selbst als „größter Gegner der Droge Staat“: Muss die Koalition die Bevölkerung auf kalten Entzug setzen?

Die „Droge Staat“ ist schlecht, zielgruppenspezifische und genaue Hilfe für Menschen, die es brauchen, ist gut. Solidarität soll Hilfe zur Selbsthilfe sein und nicht Dauer-Alimentierung. Das nämlich fördert die Vollkasko-Mentalität und befördert Trittbrettfahrertum.

Wen meinen Sie, wenn Sie Trittbrettfahrer sagen?

Wenn alle weniger arbeiten, weil sie sagen, es geht sich für sie aus, dann brechen wir den Sozialkontrakt, den unsere Vormütter und Vorväter in den 1950er-Jahren ausverhandelt haben. Der Vertrag besagt nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, dass jeder und jede etwas beiträgt, außer er oder sie kann es dauerhaft nicht wie Bedürftige oder Menschen mit Behinderung. Aber: Die Zahl der Trittbrettfahrer wird mehr!

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