Sollen wir für das Klima auf Fleisch verzichten?
Der jüngste Bericht des Weltklimarates zeigte es sehr deutlich: Wenn die Menschheit keine Klimakatastrophe erleben will, muss sie handeln. Einschränkungen und Verzicht allerorten werden dafür notwendig sein. Einmal mehr rückt dabei auch die fleischlose Ernährung in den Fokus. Sollen wir uns umstellen, um die Treibhausgase einzudämmen?
PRO
Jetzt oder nie, heißt es im aktuellen Bericht des Weltklimarats. 278 Wissenschafter zeigen darin die katastrophalen Folgen der Erderhitzung auf. Die Forderung ist die radikale Reduktion unserer Treibhausgasausstöße.
Der Energiesektor ist weltweit der größte Verursacher von Emissionen, der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen hier die zentrale Forderung. Dafür braucht es vor allem den nötigen politischen Willen sowie die Mitarbeit der großen Konzerne und Verantwortlichen. In anderen Sektoren hingegen kann auch schon jeder Einzelne sofort etwas bewirken. Etwa bei der Ernährung.
Die Tierhaltung gehört mit rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen zu den wichtigsten Verursachern der globalen Erwärmung. Dazu gehören sowohl direkte Emissionen wie z. B. aus dem Magen freigesetztes Methan (das andere, noch viel schädlichere Treibhausgas) bei Rindern, vor allem aber Emissionen bei der Futtererzeugung inklusive Abholzungen zur Landumwandlung. Fleisch macht zwar nur 9 Prozent unserer gesamten Ernährung aus, verursacht aber 43 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen. Denn: Ein Kilo Rindfleisch setzt umgerechnet etwa 12,3 Kilo frei. Ein Kilo Äpfel im Gegensatz dazu nur 250 Gramm.
Würden wir alle kein Fleisch essen, würden die Emissionen in diesem Bereich zumindest wegfallen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Von allen zu verlangen, vegetarisch oder vegan zu leben, ist natürlich komplett unrealistisch. Viel zu lange wurde Klimaschutz ohnehin mit Verzicht gleichgesetzt. Was es aber eigentlich vielmehr braucht, ist Bewusstsein. Denn dann merkt man, es geht nicht um Verzicht, sondern um Wandel und Umdenken. Für die Erhaltung unserer Lebensgrundlage dürfte das eigentlich auch nicht zu viel verlangt sein.
Naz Küçüktekin ist Redakteurin beim Ressort „Mehr Platz“.
CONTRA
Erst kommt die Moral, dann kommt das Fressen. Oder so. Seit Bertolt Brechts Dreigroschenoper sind spürbar schon einige Tage ins Land gezogen, die Vorzeichen haben sich geändert. Die Zeiten, die von der Sorge getragen waren, ob denn genügend auf den Tisch kommt, sind vorbei. (Zumindest scheinbar.) Die Debatten laufen heute anders: Was dürfen und sollen wir überhaupt noch essen?
Die Zahlen sprechen dabei eine klare Sprache: Nutztierhaltung zählt mit ihrem enormen Flächen- und Futtermittelverbrauch zu den großen Klima- und sonstigen Sündern, die Weiterverarbeitung tierischer Produkte ist energieaufwendig, und dann ist da noch das Tierleid. Wer das wegdiskutiert, an dessen intellektueller Fähigkeit muss man zweifeln.
Die Debatte über den Fleischkonsum ist jedoch von einem unerträglichen Gestus der moralischen Überlegenheit getragen, den sich oft nur jene leisten können, die sich was leisten können. Wer nicht bio, regional und am besten auch noch vegan einkauft, macht was falsch, sagen sie. Dass sich viele den Besuch im Reformhaus nicht leisten können, das sagen sie nicht. (Die Teuerungswelle wird es uns umso deutlicher spüren lassen.)
Nicht zuletzt ist der Fleischkonsum traditioneller Bestandteil der heimischen Küche, er ist Kulturgut und Teil unserer Identität. Diese zu bewahren, zu pflegen und – mit Augenmaß – weiterzuentwickeln, steht auch einer sich wandelnden Gesellschaft gut an.
Fleischlose Ernährung ist Teil einer gesellschaftlichen Verzichtsorgie geworden: kein Auto, keine Fast Fashion, keine Reise im Billigflieger, keine konventionelle Landwirtschaft. Was aber, wenn nicht jeder an dieser Selbstbeschränkung in all ihren Facetten teilnehmen will? Die Gesellschaft wird es aushalten müssen. Und das Klima wohl oder übel auch.
Christoph Schwarz leitet das Wien-Ressort des KURIER und schreibt jeden Samstag in seiner Kolumne über Kulinarisches.
Kommentare