Pro
Wer täglich die Nachrichten über den Vormarsch der Taliban in Afghanistan verfolgt, der muss dagegen sein, dass Asylwerber zurück in ihr Heimatland abgeschoben werden. Wer sich den Tod der 13-jährigen Leonie vor Augen hält, für den vier Afghanen als Verdächtige verantwortlich gemacht werden, muss dagegen sein, dass es keine Abschiebeflüge nach Kabul geben soll.
Die Diskussionen zu diesem Thema sind leider immer nur situationsgetrieben. Aktuelle Ereignisse bestimmen in der Öffentlichkeit den Zugang, Meinungsschwankungen ziehen sich durch die Politik. Noch vor wenigen Wochen hatten sich einige Parteien klar gegen Abschiebungen nach Afghanistan gestellt. In einem Fall sollte es sogar einen Parteitagsbeschluss gegen Abschiebungen in diese Region geben. Nur wenige Tage später, als das Verbrechen an der Schülerin Leonie passierte, kritisierten Vertreter dieser Partei, dass die Bundesregierung nicht konsequenter abschiebt.
Deswegen sollten die Abschiebeflüge weiter durchgeführt werden, solange sie möglich sind. In der momentanen Situation vielleicht nicht für alle Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, aber auf jeden Fall für jene, die in Österreich straffällig geworden sind. Es ist auf jeden Fall abschreckender, dass nach einer Straftat die Abschiebung in die Heimat droht, als dass Täter bei uns zu einem Gefängnisaufenthalt verurteilt werden. Gleichzeitig werden Flüchtlinge versuchen, in jene Länder zu kommen, die die Abschiebeflüge nach Afghanistan mittlerweile gestoppt haben. Was letztendlich direkte Auswirkungen auf das Schlepperwesen hat.
Zugegeben, das ist nicht wirklich ein humanistischer Zugang zur Lösung des Problems – aber ein realistischer. Und Realismus ist gefragt, wenn jetzt die Flüchtlingszahlen steigen werden.
Martin Gebhart ist Leiter des Ressorts Chronik im KURIER
Contra
Wie es in Afghanistan derzeit zugeht, dürfte mittlerweile schon jeder mitbekommen haben. Täglich machen Berichte aus dem Land Schlagzeilen. Eine weitere von der Taliban eroberte Stadt, noch ein Anschlag, noch mehr Tote.
Die Lage in dem Land, das schon seit Jahrzehnten im Krieg ist, hat sich in den letzten Wochen, seit dem Abzug der US-amerikanischen Truppen, noch einmal drastisch verschlechtert. Angesichts dessen haben Norwegen, Finnland und Schweden bereits einen Abschiebestopp für aus Afghanistan geflüchtete Menschen ausgesprochen.
Denn für die Skandinavier ist die Lage zu gefährlich, um wieder dorthin abzuschieben. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat erst kürzlich in einem Fall entschieden, dass die Abschiebung nach Afghanistan derzeit nicht vertretbar ist.
Österreich sollte diesem Vorbild folgen. Schließlich haben wir ähnliche Werte und dieselben geltenden Menschenrechte. Und diese sollten an erster Stelle stehen. Aber anstatt klarzustellen, dass wir ein Rechtsstaat mit menschlichen Werten sind, dominiert in Österreich ein populistischer und unmenschlicher Diskurs. „Aber sie sind doch illegal geflüchtet“ (als ob es legale Wege gäbe, zu flüchten). „Wer straffällig ist, muss abgeschoben werden.“ So lautet oft der Tenor.
Wir führen die Debatte vom falschen Ende. Über all diese Sachen kann man zwar theoretisch diskutieren, aber nicht, wenn es in dem Herkunftsland schlichtweg zu gefährlich ist, um jemanden dorthin abzuschieben. Fakt ist, dass die Menschen da sind und egal ob sie asylberechtigt sind oder nicht, straffällig oder nicht – sie in den wahrscheinlichen Tod zu schicken, ist falsch. Ich jedenfalls kann und will das nicht mit meinen Gewissen vereinbaren. Sie etwa?
Naz Küçüktekin ist Redakteurin bei kURIER
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