Pro
Vergessen wir einmal die menschliche Natur, die sich in Redewendungen wie „In der Nacht sind alle Katzen grau“ (Im Dunkeln erscheint alles gleich[-gültig]) oder „Bei Nacht und Nebel“ (im Geheimen) spiegelt. – Ignorieren wir auch, dass all das, was nicht ans Licht kommen durfte, schon immer nachts geschah. – Missachten wir, dass sich bald nach Öffnung der Nachtgastronomie Berichte über laxe Überprüfungen der Drei-G-Regel häuften. – Vielleicht haben wir auch nicht behalten, wer damals befürchtete, dass das Öffnen keine gute Idee sei. Clubbetreiber nämlich. Tenor: „Wir wollen nicht die Sündenböcke sein, wegen denen im September wieder zugesperrt werden muss.“ Und: „Wir bewegen uns auf ganz dünnem Eis.“ Das droht jetzt zu brechen.
Was wir dagegen keinesfalls ignorieren sollten, ist die Tatsache, wer die Nachtvögel sind – junge Menschen auf der Suche nach Begegnungen und Umarmungen. Die nackten Zahlen zu vergessen, wäre ohnedies fahrlässig: Aktuell betreffen 70 Prozent der Neuinfektionen unter 35-Jährige. Dem gegenüber stehen Immunisierungsraten von 20 Prozent (bei 15- bis 24-Jährigen) und 30 Prozent (bei 25- bis 34-Jährigen). Wer jetzt noch missachtet, dass in der Nachtgastronomie ein Infizierter oft mehrere Hundert Kontaktpersonen nach sich zieht, hat ohnedies nichts verstanden.
Ja: Junge Menschen haben ein geringeres Risiko, an Covid-19 zu sterben. Und nein: Das ist kein Freibrief. England klagt bereits, dass vermehrt Patienten in ihren 30ern oder gar 20ern, die körperlich fit und nicht vorerkrankt waren, auf den Intensivstationen liegen. Vielleicht sollten wir also die menschliche Natur doch nicht ganz vergessen: Angeblich haben sich Jugendliche mit gefälschten Tests durch die Nacht gemogelt und andere angesteckt. „Na dann, gute Nacht!“ (Redewendung für: Das ist schlimm) ist als Replik zu wenig.
Susanne Mauthner-Weber ist Wissenschaftsredakteurin
Contra
Zuallererst will ich herausstreichen, dass alle, die in der Nachtgastronomie bzw. Eventbranche tätig sind, in diesen Zeiten wohl am meisten leiden. Nicht nur, dass sie die Allerletzten waren, die seit dem Pandemiebeginn wieder ihrer normalen Arbeit nachgehen durften. Ihnen werden seither auch noch alle paar Wochen neue Verordnungen hingeschleudert, um deren Einhaltung und Umsetzung sie sich in ihren Lokalen gefälligst selbst zu kümmern haben.
So wurde aus der 3G-Regel für Clubs, Bars und Co. inzwischen die 2G-Regel. Dass das bekannte Frequency-Festival in St. Pölten, das im Normalfall bis zu 200.000 Besucher anlockt, nach mühsamster Organisation doch noch kurzfristig abgesagt werden musste, bildet den traurigen Höhepunkt.
Nun zum emotionalen Teil. Es ist als junger Mensch kaum mehr zu ertragen, dass sich die Jugend ständig aufgrund von institutionell getroffenen Fehlentscheidungen einschränken lassen muss. Ja, momentan sind vor allem bei den Jungen steigende Infektionszahlen zu erkennen. Aber es hat auch nur etwa ein Drittel aller 25 bis 35-Jährigen schon zwei Impfdosen erhalten. Bei denen unter 25 sind es sogar nur acht Prozent.
Viel zu lange sind die Jungen während der Pandemie links liegen gelassen worden. Zuerst gab es für diejenigen, die nicht zufällig über die Arbeit zum Stich kamen, kein Impfangebot – jetzt, wo es das vielerorts ohne Voranmeldung gibt, gibt es ob der viel zu laschen Zutrittsregeln keinen Anreiz dafür. Dass eine reine Testkontrolle in Clubs absolut fahrlässig ist, hat jeder Experte schon lange vorher verkündet.
Die traurige Lösung: Für viele wird erst der Anreiz bestehen, sich impfen zu lassen, wenn aus der 2G-Regel eine 1G-Regel wird: Zutritt nur für Geimpfte. Dazu braucht es ein entsprechendes Impfangebot – auch am Land.
Johannes Arends ist Redakteur im Wirtschaftsressort
Kommentare