Pro und Contra: Sollen die Rammstein-Konzerte in Wien abgesagt werden?
Georg Leyrer
16.06.23, 12:44Agnes Preusser
16.06.23, 12:44PRO
Die Frau, die den Star beschuldigt, will doch nur berühmt werden. Wenn man sich so anzieht, ist man selbst schuld. Wer auf eine After-Show-Party geht, muss mit Sex rechnen. Es dauerte nicht lange, bis solche Argumente kursierten, nachdem die Vorwürfe gegen Rammstein-Frontsänger Till Lindemann auftauchten.
Frauen nicht zu glauben, sie zu diskreditieren und ihnen die Schuld zu geben, obwohl sie Opfer sind, hat System. Speziell im Netz geht das oft mit Drohungen einher. Verstärkt, wenn der potenzielle Täter berühmt ist. Ja, die Vorwürfe gegen Lindemann wurden nicht bestätigt, kein Gericht hat entschieden. Die Recherchen renommierter deutscher Zeitungen, die Schilderungen vieler Frauen (teils anonym, aber beglaubigt) und auch Zeugen zeichnen aber ein glaubhaftes Bild über (zumindest) Machtmissbrauch – auch die Justiz ermittelt.
Wäre Lindemann Politiker, müsste er seinen Hut nehmen, ebenso als Manager. Alles mit „Künstlerseele“ zu rechtfertigen, ist mau. Warum sollte man einer Band wie Rammstein also noch eine Bühne bieten? Zumindest bis die Unschuld erwiesen wird, wäre eine Konzertpause angebracht. Alleine schon als Zeichen, dass man als Gesellschaft Frauen, die von Gewalttaten berichten, ernst nimmt – und nicht immer nur zur Ehrenrettung von Mächtigen ausreitet, die ohnehin eine laute Stimme haben. Mögliche Täter soll man nicht vorverurteilen, heißt es immer. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man möglichen Opfern nie vor-glaubt.
Agnes Preusser ist stv. Leiterin der Chronik
CONTRA
Die wichtige Debatte um Rammstein wird, leider, nicht mit der nötigen Sorgfalt geführt – dabei wäre genau das immens wichtig, wenn man mehr erreichen will als nur vorgefasste Emotionen und selektive Wahrnehmungen abzutauschen. „Mutmaßlichen Tätern keine Bühne bieten“, riefen etwa die Grünen, und das ist gesellschaftspolitisch brandgefährlich. Man drehe denselben Sager auf „Mutmaßlichen Tätern kein Asyl gewähren“, und merkt gleich, dass hier im Eifer des Gefechts der unterkomplexe Populismus so laut dröhnt wie die Gitarren von Rammstein.
Das Problem an der Debatte fängt schon mal da an, dass nicht genau genug gelesen wird. Bisher haben die Frauen explizit davon Abstand genommen, dem Rammstein-Sänger konkret Übergriffe oder gar Vergewaltigung vorzuwerfen. Sie schildern ein System rund um junge Frauen, das man mit gutem Grund widerlich finden kann. Es stehen weitere Vorwürfe und Anzeigen im Raum, bei deren Bestätigung man eh nicht mehr debattieren muss. Es wird ermittelt.
Derweil aber kommt man mit gratismutigen Forderungen, die höchstens neukonservative Weltbilder abbilden – keine Party nach dem Konzert! –, nicht weiter. Die Beziehung von Rockstar und Fan ist, wie alles im Leben, eine mit vielen Grautönen auch diesseits des Strafrechts. So erwachsen muss man in der Einschätzung bleiben können, auch wenn die Empörung groß ist. Die berechtigte Frage, ob sie zum Konzert überhaupt gehen wollen, können sich die Fans selbst stellen. Da braucht es keine Verbote.
Georg Leyrer ist Leiter der Kulturredaktion
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