PRO
Seit dem ersten ORF-Sommergespräch von Susanne Schnabl und Beate Meinl-Reisinger (Neos) wird über jenen Ort diskutiert, an dem die Interviews dieses Jahr stattfinden: ein Hinterzimmer des Parlaments, das normalerweise nur für kurze Gespräche abseits des Alltags im Plenum genutzt wird.
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Meinl-Reisinger sprach danach von einer Verhör-Atmosphäre, Herbert Kickl (FPÖ) sogar vom „herben Charme eines Stasi-Verhörzimmers“. Letzteres ist sicher übertrieben und deplatziert, grundsätzlich haben beide aber mit ihrer Kritik recht. So ein Zimmer ohne Fenster, nur mit künstlichem Licht, kann vielleicht weiter für Besprechungen genutzt werden, für die großen Sommerinterviews mit den Spitzen der Parteien ist es der absolut falsche Ort.
Statt der Leichtigkeit des Sommers, die immer charakteristisch für dieses TV-Format gewesen ist, wird die bedrückende Atmosphäre eines Hinterzimmers geboten. Wenn die Dramaturgen damit ausdrücken wollten, dass so ein düsteres Bild die aktuelle Innenpolitik am besten trifft, dann ist ihnen das gelungen. Nach dem Motto: die richtige Politik spielt sich an fast geheimen Plätzen ab, ohne natürliches Licht, in engen Räumen.
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Dass der ORF mit dieser Bildersprache den Politikern sicherlich keinen Gefallen getan hat, wird man dort mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Man ist auch nicht dazu da, diesen eine Freude zu bereiten. Dass damit aber auch die Zuschauer extrem verstört werden, wird wohl mehr diskutiert werden müssen. Zu Recht.
Martin Gebhart, Ressortleiter Innenpolitik
CONTRA
Natürlich kann man über Geschmack streiten. Dem einen gefallen coole Glasfassaden besser, der andere mag es lieber in der Natur, aber auch der Holzkasten im Parlament, das Sprechzimmer 23, hat seinen Charme. Irgendwann war es mal modern, irgendwann wird es das wieder sein.
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Ich sehe dennoch drei Dinge, die für das Setting sprechen:
Erstens ist das Parlament als Ort für ein Politikinterview in diesem Jahr passend. Die Renovierung ist gelungen, selten war das Hohe Haus selbstbewusster.
Zweitens handelt es sich beim Sommergespräch um ein klassisches politisches Interview. Die Tatsache, dass nichts den Inhalt stört, lässt volle Konzentration auf das Gesagte zu.
Und drittens: Die meisten bisherigen „kreativen Lösungen“ für Sommergespräche gingen schief: Da störten Gelsen den damaligen Bundeskanzler Faymann, eine Wut-Oma lud ihren Frust an Vizekanzler Mitterlehner ab. Norbert Steger stieg mit Peter Rabl in einen Swimmingpool (heute wäre das undenkbar peinlich). Oft musste wegen eines Gewitters der Ort gewechselt werden, ein falscher Elefant störte den Redefluss von Pamela Rendi-Wagner.
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Und dass FPÖ-Chef Herbert Kickl den Raum, der für vertrauliche Gespräche von Parlamentariern verwendet wird, als Stasi-Verhörzimmer bezeichnete, lässt auf sein mangelndes Geschichtsbewusstsein schließen. Damals wurden Feinde des Regimes in die Mangel genommen. ORF-Moderatorin Susanne Schnabl hingegen führt sehr gute, sachliche, kritische Interviews.
Richard Grasl, Chefredakteur-Stv.
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