ORF-Sommergespräch: "Grantige" Meinl-Reisinger will kein "Ungeheuer" werden
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Etwas mehr als ein Jahr vor dem regulären Wahltermin nehmen die Wahlslogans längst Formen an. Die einen wollen das "Klimaglück", die anderen die "Festung Österreich", die einen wollen Politik für die "Normalen", die anderen Politik "für die Vielen".
Die Neos wollen einfach eine "Politik in gut" machen. Der implizite Vorwurf: Die anderen machen es schlecht. Sehr schlecht.
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Beim ersten ORF-Sommergespräch 2023 brachte es Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger schon im Vorgespräch, das ORF-Moderatorin Susanne Schnabl mit ihr im Sitzungssaal des Nationalrats führte, auf den Punkt. Sie habe im Urlaub sporadisch Nachrichten konsumiert und sei "ein bisschen ratlos" und auch "zunehmend wütend". "Was wird diskutiert vom Bundeskanzler abwärts?", fragte sie. "Wer normal ist? Wer nicht normal ist? Und das in einer Zeit, wo so viel zu tun ist? Wo wir so Riesenprobleme haben?"
Und in dieser Tonart ging es weiter: "Man soll die Leute nicht pflanzen mit Scheindebatten, Genderverboten, `Normal`-Debatten & Co., sondern zu schauen, was haben wir für Probleme, Inflation, Rezession, Herbstlohnrunde. Die Menschen müssen sich wieder was aufbauen können, Gesundheitsbereich kracht, Bildungsbereich kracht; wie kriegen wir unser schönes Österreich wieder an die Spitze?"
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Dann folgte eine atmosphärisch interessante, weil völlig konträre Ansage. Angesprochen auf ihren Sager im Zusammenhang mit der Kickl-FPÖ, die sie im Vorjahr "Volksverräter und Rechtsradikale" genannt hatte, sagte sie: "Ich finde mittlerweile, dass es falsch war, dass ich das verwendet habe." Es gebe den Spruch "Wenn man mit Ungeheuern kämpft, soll man aufpassen, nicht selbst eines zu werden. Nur weil sich Rechtsextreme, Rechtspopulisten einer solchen Sprache bedienen, sollten wir das nicht auch machen. Und das habe ich jetzt gelernt."
Politik und Stil
Wiewohl sie in der Sache ihre Vorwürfe aufrecht halte, dass die FPÖ in Österreich "Putin-Propaganda" betreibe.
Nach den ersten Wortwechseln zogen sich die beiden "an einen ruhigeren Ort" zurück, wie Schnabl sagte. Eines der vier sogenannten "Sprechzimmer", wo normalerweise Abgeordnete vertraulich miteinander sprechen oder telefonieren können. Der kleine Raum ist mit dem typischen Nussholzfurnier des Parlaments vertäfelt, fürs Sommergespräch wurden nur zwei Ledersessel, ein gläserner Couchtisch und eine Stehlampe aufgestellt.
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Das "Sommergespräch" wird von denselben Machern in Szene gesetzt, die Schnabl und Ko-Interviewer Hanno Settele mit dem Bundespräsidenten in eine Black Box gesetzt hatten, was gar ein bisschen stark reduziert daherkam. Es werden auch hier filmische Elemente eingesetzt, extreme Perspektiven, Zeitraffer oder auch ein Blick durchs Schlüsselloch. In Einspielern (z. B. über "Work/Life-Balance") werden Parlamentsbesucher befragt.
"Geht's dem noch gut?"
Im eigentlichen Gespräch ließ sich Meinl-Reisinger keine großen Überraschungen herauslocken. Aber sie fand wieder klare Worte.
Eine flächendeckende Arbeitszeitverkürzung würde sie "nicht fair" finden, es gehe eher darum, Teilzeit nicht extra zu fördern. Neuerlich schlug sie einen "Vollzeit-Bonus" vor.
Schnabl bezeichnete dies als eine "Gießkannen-Maßnahme", die die Neos sonst so kritisieren würden.
Meinl-Reisinger beharrte darauf, dass die Steuern runter müssen, vor allem jene auf Arbeit. In Zahlen: 6,3 Prozent weniger Lohnnebenkosten. Das würde zwar rund neun Milliarden Euro kosten, die budgetär kompensiert werden müssen. "Dafür gehen sich aber fünf Prozent mehr Nettolohn für die Arbeitnehmer aus, ohne die Arbeitgeber zu belasten".
Die liberale Politikerin konnte sich durchaus wieder in kontrollierte Rage reden. Als sie erwähnte, dass der Finanzminister eine "Lohnzurückhaltung" angeregt hatte, kommentierte sie: "Geht’s dem noch gut?" Sie stehe für eine "vernünftige Wirtschaftspolitik, nicht Schattenboxen". Die Kanzler-Forderung nach "Bargeld in die Verfassung" nannte sie hierbei als Negativbeispiel. "Da werd ich wirklich grantig", sagte Meinl-Reisinger.
"Die Einnahmen sprudeln, der Finanzminister ist der größte Profiteur", sagte sie - und schob nach: "nicht persönlich".
Nur bei kleineren Pensionen kann sie sich eine Anhebung um zehn Prozent vorstellen.
Die Neos seien die "einzigen Ehrlichen mittlerweile", erklärte sie. Die Debatte um Politikergehälter stufte sie als "eine Scheindebatte" ein. Dennoch würden die Neos der Nulllohnrunde zustimmen, weil zehn Prozent Anstieg zu hoch seien.
Bargeld in die Verfassung?
Schlecht gelaunt
Meinl-Reisinger scheint nicht wirklich gut gelaunt aus ihrem Sommerurlaub zurückgekehrt zu sein. Oder vielleicht ist es auch die gegenwärtige Politik, die das Urlaubsfeeling gleich wieder zusammenhaut. Oder es ist einfach die Professionalität einer Oppositionspolitikerin, die im Fernsehen den Schalter sofort umlegen kann?
Das sah man, als Schnabl aus einer strikten Ablehnung einer Erbschaftssteuer der Pinken-Chefin ("am Ende trifft es die Häuslbauer, die Mitte der Gesellschaft") schlussfolgerte: "Dann hätten wir die Koalitionsfrage jetzt geklärt." Für SPÖ-Chef Andreas Babler ist eine solche Steuer schließlich eine Kernforderung.
Meinl-Reisinger reagierte fahrig: "Aber wir verhandeln ja nicht. Sind Sie der Herr Babler?"
Schnabl sagte wahrheitsgemäß, dass sie natürlich nicht der Herr Babler sei.
Meinl-Reisinger: "Ich habe Positionen, der Herr Babler muss sagen, ob er da mit kann."
Schnabl fragte, ob man den Wählern nicht "reinen Wein einschenken" sollte. Also was nach der Wahl die realen Optionen sind.
Meinl-Reisinger: "Und was war das jetzt grad?!" Sie meinte, ausreichend reinen Wein eingeschenkt zu haben.
Potenzielle Koalitionspartner
"Munteres Parteiobfrau ..."
Das Thema Salzburg-Wahlen hob die Stimmung auch nicht gerade. Da sind die Neos aus dem Landtag geflogen.
Dann sprach Schnabl auch noch die Verwirrung um den Gastronomen und Ex-Neos-Abgeordeten Sepp Schellhorn an, der wieder in die Politik zurückkehren wolle. Er trete zu den Neos-Vorwahlen an, bestätigte Meinl-Reisinger.
Ob er sich da auch um die Spitzenkandidatur bewerben könnte, wollte Schnabl wissen. Dazu gibt es ja Gerüchte.
"Das wird er nicht tun", sagte Meinl-Reisinger, erneut etwas mürrisch. "Ich weiß das, weil ich mit ihm red', mit ihm im Kontakt bin."
Sie witterte nach dem Aus für Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin gleich eine Fortsetzung des "munteren Parteiobfrau ...". Da stockte sie, und sagte: "Das wird jetzt trenden."
Zur Erinnerung: Meinl-Reisinger ist derzeit die einzige Frau an der Spitze einer Parlamentspartei.
➤ Mehr dazu: Schellhorns verwirrendes Spiel mit dem Polit-Comeback
Bürgerrat soll über Neutralität debattieren
Auch die "heilige Kuh" Neutralität thematisierte Moderatorin Schnabl. Sie hatte ja angekündigt, die großen Leitlinien besprechen zu wollen.
Meinl-Reisinger erklärte, dass sie die Neutralität nicht grundsätzlich für obsolet halte, jedenfalls aber "eine verstaubte Form der Neutralität". Sie wolle die Bevölkerung einbinden, zum Beispiel über einen Bürgerrat.
Und Sky Shield?
"Absolut dafür."
Zuwanderung und Integration
Beim Thema EU-Armee (ein Vorschlag der Neos) sagte Schnabl: "Im Ernstfall steht ein österreichischer Berufssoldat mit der Waffe in Polen an der Grenze und kämpft gegen Russland. So ehrlich muss man sein."
Dann ein Schnitt: Ob Meinl-Reisinger ein "mulmiges Gefühl" beschleiche, wenn sie in Wien durch die Straßen gehe? Schnabl griff somit die von der Wiener ÖVP betriebene Debatte auf.
Meinl-Reisinger mache sich vor allem Sorgen, dass schwule oder lesbische Paare angepöbelt wetrden und verwies auf die Erfahrungen eines Parteikollegen.
Zu viel Zuwanderung gebe es nicht, meinte sie, "aber zu viel irreguläre Zuwanderung, die besten Köpfe gehen woanders hin".
Mit Blick auf Erdogan-Fans sagte sie: "Nicht tolerant sein gegenüber den Intoleranten." Es solle die Möglichkeit geschaffen werden, Moscheen zu schließen, "wo Radikalisierung stattfindet".
"Kante zeigen" solle man auch gegen "Graue Wölfe" und andere Zuwanderer, die westliche Werte nicht akzeptieren, meinte die Neos-Chefin.
Der Soundtrack zur Politikerin
Warten auf Rot
Meinl-Reisinger schien also ziemlich wütend. Zum Schluss stellte Schnabl ein kleines Radio auf den Tisch. Meinl-Reisinger sollte einen Song nennen, der gerade ihr politisches Schaffen beschreibe. Da konnte sich die Politikerin nicht zur Nennung eines speziellen Liedes durchringen. Es müsse jedenfalls ein "Wut-Song" sein, der ausdrückt: "Ihr pflanzt's uns nur noch ..."
Schnabl musste sich dann beim lockeren Nachgespräch wundern, dass Meinl-Reisinger nicht jenen Grönemeyer-Song genannt habe, den sie just bei Ihrer Grundsatzrede herangezogen hatte: "Angstfrei."
Da stimmte Meinl-Reisinger zu, "den hätte ich bringen können", das sei "wirklich ein Neos-Song".
"Fesch sein, frech sein", zitierte sie.
Und: "Wer nicht strampelt, klebt an der Ampel und wartet auf Rot."
Interessant, das richtige Zitat wäre: "Wartet auf Grün."
Wartet hier jemand, frei nach Sigmund Freud, noch auf Bewegung bei Rot? Etwa bei der Erbschaftssteuer?
Intime Atmosphäre
Die sommerliche TV-Politbühne ist also eröffnet. Die Ankündigung, durch die Voraufzeichnung am Freitag einen Gesprächsfluss abseits der Tagespolitik zu ermöglichen, wurde im Großen und Ganzen eingelöst. Dafür konnten z.B. die Unwetterschäden vom Wochenende nicht von Meinl-Reisinger erwähnt oder kommentiert werden - was Zuschauer zum Teil wundern könnte.
Der Schauplatz Parlament ist klug gewählt - und das kleine "Sprechzimmer" schafft tatsächlich eine sehr intime Atmosphäre, wodurch der Fokus komplett auf dem Gespräch liegt. Ein ungewohntes Novum, aber durchaus gewinnbringend.
Am Ende hörte man eine klimpernde, wackelige Melodie.
Nein, es war nicht der goldene Bösendorfer-Flügel.
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