Schnabl: "Keine Gefühle" bei Kickl & Co., "man legt einen Hebel um"
Susanne Schnabl führt nach 2016 zum zweiten Mal durch die ORF-Sommergespräche. Dabei legt die „Report“-Moderatorin Wert aufs Gespräch und das große Ganze.
Susanne Schnabl ist nach 2016 zum zweiten Mal Gastgeberin der ORF-„Sommergespräche“, die seit 42 Jahren die innenpolitische Debatte im Sommer mitgestalten. Entengequake oder andere Freiluftgeräusche sind eher auszuschließen, da die fünf Parteispitzen im Parlament befragt werden. Nach vielen Jahren der Live-Interviews wird die Sendung diesmal voraufgezeichnet.
Im Interview spricht sie über die Schnelllebigkeit der Politik, die großen Fragen der "Sommergespräche", Gefühle bei verschiedenen Politikern und das Gendern.
KURIER:Sie interviewen jede Woche Spitzenpolitiker. Was macht für Sie den Reiz der Sommergespräche aus?
Susanne Schnabl: Im „Report“ führe ich Live-Interviews, auch die Sommergespräche 2016 waren live. Mir geht es aber jetzt um das große Ganze. Nicht nur die Politik, auch wir Journalisten sind getrieben von Tagesaktualität, das Tempo hat zugenommen. Daraus entstand die bewusste Entscheidung, einen Schritt zurück zu machen: Im täglichen News Cycle sind die Sommergespräche nicht mehr gefangen. Das war auch die ursprüngliche Konzeption.
Seit 2016 hat sich viel getan. Damals waren Stronach, Strolz, Glawischnig, Strache, Mitterlehner und Kern dabei, Kurz als Außenminister noch nicht.
Von den Gästen, die mir damals gegenüber gesessen sind, ist keiner mehr in der Politik. (lacht)
Wie hat sich die Politik seither im Großen verändert?
Der Diskurs ist noch schnelllebiger geworden, auch oberflächlicher. Dabei gibt es elementare Fragen, die uns seit den letzten drei Jahren begleiten: Pandemie, Krieg, Teuerung. Das ist eine wirkliche Zeitenwende.
Wie haben Sie darauf reagiert, dass Sie das wieder machen?
Ich wurde gebeten und ich freue mich sehr. Auch darüber, dass wir das jetzt anders machen.
Im Gegensatz zum Vorjahr führen Sie die Sommergespräche alleine. Welchen Reiz hat das?
Es hängt immer vom Konzept ab. Es war auch reizvoll, mit Hanno Settele den Bundespräsidenten zu interviewen. Da haben wir versucht, eine Atmosphäre zu schaffen, wo wirklich nichts mehr ablenkt. Hier versuchen wir die Weiterentwicklung dieses Formats, das den Fokus aufs Gespräch legt. Aber ohne schwarze Box. (lacht)
Was verstehen Sie konkret unter der "Fokus aufs Gespräch"?
Schon im Titel "Sommergespräch" steckt das Wort Gespräch, nicht das Wort Interview. Im Studio gibt es nur eines, das die Beteiligten wirklich limitiert: Die Uhr. Das Gegenüber hat ja nicht viel Interesse daran, auf Fragen einzugehen, die vielleicht unangenehm sind. Wenn auf meiner Seite – durch die Aufzeichnung – der Zeitdruck wegfällt, ist das ein Vorteil.
Ort des Gesprächs
Die „Sommergespräche 2023“ werden im neu renovierten Parlament geführt, und zwar im nur rund 15 m² großen Sprechzimmer. Die Sendungen werden jeweils bereits am Freitag aufgezeichnet, um die Sendung „in ein filmisches Gesamtkonzept einzubetten“. Sollte das Gespräch die übliche Sendelänge überschreiten, will der ORF das komplette Interview „zur vollständigen Transparenz“ in die ORF-TVthek stellen
Die Termine
Der Auftakt zur Gesprächsreihe (jeweils Montag, 21.05 Uhr, in ORF 2) erfolgt am 7. August mit Beate Meinl-Reisinger (Neos). Es folgen Werner Kogler (Grüne), Herbert Kickl (FPÖ), Andreas Babler (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP)
Nach-Gespräche
Anschließend analysiert Peter Filzmaier mit Printjournalisten in der „ZIB 2“ um 22.00 Uhr, ORF III zeigt die Diskussionsrunde „Sommer(nach)gespräche“ jeweils um 22.30 Uhr
"Ich bin keine Wordrapperin"
Wird es spezielle Formate wie Wordraps geben, um mehr über die Politiker zu erfahren?
Eines kann ich verraten: Ich bin keine Wordrapperin! (lacht) Mich interessiert aber der Mensch, wie er Politik macht. Und was das mit einem macht. Man spricht oft vom Rekrutierungsproblem. Wer will sich sich das noch antun und warum? Bei einem guten Gespräch ergibt das eine das andere. Einen Fragenkatalog durchzugehen, dazu würde es mich nicht brauchen, irgendwann übernimmt dann KI. Die Herausforderung ist, zuzuhören, aber auch zu wissen: Wo hake ich ein, um ein bisschen mehr zu erfahren?
Stichwort Rekrutierung: Bei der SPÖ ist diese ja etwas holprig verlaufen ...
Da gibt es verschiedene Modelle in Österreich ... (lacht)
Wie reizvoll ist es, einen Neueinsteiger in der Spitzenpolitik dabei zu haben?
Andreas Babler ist ja kein Greenhorn, er ist seit dem 16. Lebensjahr politisch aktiv. Aber er ist ein Sommergespräche-Frischling. Das Gespräch wird interessant – wie alle anderen.
Um welche Fragen wird es gehen?
Die Grundsatzfrage ist: Wie geht es uns nach drei Jahren Krise? Alte Gewissheiten gibt es nicht mehr. Mich interessiert, welche Konzepte und Lösungen es gibt. Welches Gesellschaftsmodell steckt dahinter, wieviel Ideologie? Da tun sich bei den Playern interessante Fragen auf, weil die ja nicht gegensätzlicher sein könnten.
Wie wichtig ist die Frage, ob die Regierung bis zum regulären Wahltermin durchhält?
Gerade im Parlament, dem Herzen der Demokratie, stellt sich die Frage: Wann wird gewählt? Aber vielleicht muss sie anders gestellt werden, weil erwartbare Fragen bringen erwartbare Antworten. Die Hauptstoßrichtung ist: Was bekomme ich als Wählerin oder Wähler, wenn ich bei dieser Partei mein Kreuzerl mache? Nach dem Gespräch soll man schlauer sein.
Wie umschifft man die erwartbaren Standardantworten?
Es gibt da auch keine Standardformel. Es hängt natürlich auch vom Gegenüber ab, zu sagen: Okay, ich lasse mich auf das Gespräch ein und gebe meine Phrasen an der Garderobe ab.
Thema Gendern: Sprache ist wirklich wichtig"
Wird das Thema Europa gezielt eine Rolle spielen?
Ich habe keinen Fragenkatalog in dem Sinn, dass es ab Minute fünf um Europa geht. Das eine bedingt das andere. Man kann das Thema Europa aber gar nicht außen vor lassen. Allein schon aufgrund der Entwicklungen in Russland. Wir sind noch immer abhängig von Gaslieferungen bis hin zur Neutralitätsdebatte und zur Sicherheitspolitik. Das ist ja ganz etwas Wesentliches für jedes Land. Vor dem Ausbruch des Angriffskrieges waren diese Fragen auch für mich als politische Beobachterin weit weg. Aber jetzt ist Sicherheitspolitik brandaktuell.
Reizthemen wie das Gendern gibt es auch immer wieder, interessanterweise oft im Sommer. Auch ein Thema für die Sommergespräche?
Das ist ein Thema, das man nicht wegreden kann. Mich wundert oft, welchen Stellenwert das einnimmt. Aber Sprache ist wirklich wichtig und schafft Bewusstsein. Ich komme ja aus der Philologie. Wir haben im ORF Umfragen dazu gemacht. Ich selber verwende die weibliche und die männliche Form, das habe ich immer so gehalten. Alleine schon, um einfach unsere Gesellschaft abzubilden.
Ein Hauptargument ist: Das hilft den Frauen nicht.
Wir haben eine Umfrage, wonach 72 Prozent sagen, dass es wichtig ist, dass die weibliche Form verwendet wird. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Wenn man dann darüber redet, dass die mitgemeint sollen, dann finde ich das schon ein bisschen eigenartig. Die Welt entwickelt sich weiter, sie verändert sich und detto auch die Sprache. Wenn manche darum herum einen Kulturkampf austragen, stellt sich mir schon die Frage: Was steckt dahinter? Ich finde spannend, warum das so aufregt. Über einzelne Formulierungen, was besser vom Schriftbild her besser ist, kann man reden. Für mich als ORF-Journalistin wäre es aber komisch, wenn ich beschließe, ich bilde die Gesellschaft in ihrer Vielfalt nicht ab, wie sie ist. Das wäre ja Realitätsverweigerung.
Die Männer-Fußballnationalmannschaft singt noch immer den alten Text der Bundeshymne ohne Töchter. WIe finden Sie das?
Ich will nicht jedem Böswilligkeit unterstellen. Für viele ist es wahrscheinlich die Macht der Gewohnheit. Ich hatte ein tolles Interview zusammen mit der ersten Vizekanzlerin, Susanne Riess, und Irene Fuhrmann, der Teamchefin der Frauennationalmannschaft, die ja wirklich eine Topleistung abliefern. Eigentlich ganz logisch, dass wir da auch über die Töchter singen, oder?
Politiker reiben sich oft an ORF-Interviewern. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Man kennt meinen Stil seit zehn Jahren aus dem „Report“. Ich werde es sicher nicht auf Konfrontation anlegen, aber ich werde natürlich vorbereitet sein. Vorbereitung ist alles!
Ich überlege gerade, ob das ein Robert-Hochner-Zitat ist ...
Vorbereitung und Organisation ist alles im Leben. Das sage ich nicht nur als Journalistin, sondern auch als Working Mom. Das erleichtert viel. Ich kenne ja alle Gesprächspartnerinnen und -partner, also man kann da schon antizipieren. Aber ich bin dann schlussendlich immer wieder gespannt und neugierig, wie es tatsächlich wird.
"Unterbrechen manchmal notwendig"
Hat man bei den Gesprächspartnern ein unterschiedliches Bauchgefühl vor Interviews? Oder sind Sie dazu zu routiniert?
Routine ist ein gefährliches Wort, das ist oft trügerisch. Es geht um Erfahrung. Ich kenne alle, auch aus Interviewsituationen, aber im Fall von Herbert Kickl ist es z. B. schon Jahre her. Es ist auch wesentlich für die Vorbereitung, sich auf das Gegenüber einzustellen. Ist es jetzt ein Oppositionspolitiker oder Regierungspolitiker?
Ihr „Report“-Interview mit Kickl (Zitat: „Das Recht hat der Politik zu folgen“) war prägend. Gibt ’s spezielle Gefühle, wenn man sich wieder trifft?
Gefühle haben zu Hause ihren Platz, aber nicht in einem Interview. Man legt da einen Hebel um, sobald es beginnt. Wenn ich zum Arzt gehe, gehe ich auch davon aus, dass er mich bestmöglich behandelt – egal, ob er mich sympathisch findet. Ich glaube, man weiß, was man bei mir bekommt. Dennoch ist das Tolle an dem Job, beim Report wie bei den Sommergesprächen, dass es immer etwas Neues gibt. Mir wird nicht fad! Natürlich kommt oft die Frage: Wer ist der schwierigste Gast? Aber viel schlimmer finde ich, wenn man Angst davor haben müsste, dass das Gespräch langweilig wird.
Oft hört man die Kritik, ORF-Interviewer unterbrechen zu viel. Wie stehen Sie dazu?
Im „Report“ habe ich keine Stunde Zeit, um herauszuschälen, worum es geht. Und außerdem sprechen wir eine Einladung aus. Das ist ja keine Vorladung. Politiker wollen ihre Botschaft unterbringen. Weil ich ein anderes Ziel habe, ist das Unterbrechen manchmal notwendig. Aber man sollte das Gespür haben, zu merken, wann es zu viel ist. Wenn aber das dritte Mal die selbe Antwort kommt, frage ich mich auch: Warum? Dann geht es darum, das zu dechiffrieren. Diesmal führen wir ein Gespräch, da haben wir mehr Zeit dafür.
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