Nach Eriksen-Kollaps: War es richtig, das EM-Spiel fortzusetzen?

Der Schock saß tief am Samstagabend. Die Bilder des reglos am Boden liegenden Christian Eriksen gingen noch um die Welt, als die Entscheidung fiel: Weiterspielen. Die dann insgesamt für 107 Minuten unterbrochene Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland wurde noch am Abend fortgesetzt. Der dänische Verband hatte zuvor mitgeteilt, der 29-Jährige sei bei Bewusstsein.

Danach wurde eine emotionale Diskussion darüber geführt, ob der Beschluss zum Wiederanpfiff richtig oder falsch war.
PRO
Vom Spitalsbett aus konnte Christian Eriksen am Samstagabend via Videotelefonie seinen Mannschaftskollegen mitteilen, dass es ihm gut gehe und sie das Spiel fortsetzen sollen. Daraufhin wurde in Absprache mit den Finnen die Entscheidung gefällt, dass die Partie in der 43. Minute weitergespielt wird.
Niemand anderer kann eine solche Entscheidung treffen. Der Schiedsrichter genauso wenig wie die UEFA. Und es gibt auch keine offiziellen Statuten, die vorgeben, wie bei einem solch dramatischen Fall vorzugehen ist. Hätten die Dänen oder auch die sichtlich schwer geschockten Finnen auf einen Abbruch gedrängt, hätte Schiedsrichter Anthony Taylor nicht weiterspielen lassen.
Dänemarks Teamchef Kasper Hjulmand erzählte von einem weiteren sehr logisch begründeten Aspekt, der nach der medizinischen Entwarnung aus dem Krankenhaus für die Fortsetzung sprach: Hätten die Spieler nicht weiterspielen wollen, wäre die Partie am Sonntag um 12 Uhr fortgesetzt worden. „Keiner von uns hätte in dieser Nacht schlafen können. Die Belastung am Sonntag wäre noch schlimmer gewesen“, sagte der Coach.
Obwohl es im Profi-Fußball schon mehrere Herz-Attacken auf dem Spielfeld gegeben hat, gibt es keine Schablone für die Vorgehensweise. Als am 26. Juni 2003 der Kameruner Marc-Vivien Foé im Confed-Cup gegen Kolumbien verstarb, wurde das Spiel fortgesetzt. Dänemark gegen Finnland wurde auch wieder angepfiffen. Dieses Mal aber im Sinne der Spieler. Das ist ein gutes Zeichen.
Peter Karlik ist Sport-Redakteur im KURIER.
CONTRA
Es hat einen sehr, sehr bitteren Beigeschmack, dass am Samstag das Spiel Dänemark gegen Finnland fertig gespielt worden ist. Da ringt der dänische Fußballer Christian Eriksen mit dem Tod, die Spieler schirmen ihn – am Boden liegend – mit Tränen in den Augen vor den Blicken der Öffentlichkeit ab und dann wird einige Zeit später das Spiel fortgesetzt, als ob nichts passiert wäre. Aber klar, die Unterhaltung muss weitergehen, so tragische Zwischenfälle werden zwar bedauert, passen aber nicht in das Konzept und die straffe Terminplanung der EURO 2020.
Man hat nichts gelernt. In den 1980er-Jahren war im Brüsseler Heysel-Stadion beim Spiel Liverpool gegen Juventus Turin unter den Fans Panik ausgebrochen, weil britische Hooligans den Gästesektor gestürmt hatten. Die erschreckende Bilanz: fast 40 Todesopfer. Dennoch wurde das Spiel durchgezogen. Das Drama von Brüssel ist mit der Situation am Samstag in seiner Dimension natürlich nicht direkt vergleichbar. Ein Punkt ist aber gleich geblieben: Man wollte und will ein Spiel unbedingt durchziehen. Da hat sich die Denkweise der Fußballverantwortlichen leider nicht geändert.
Wenn jetzt darauf hingewiesen wird, dass die dänischen Kicker auch wollten, dass weitergespielt wird, dann zählt das wenig. Von ihnen wäre keine andere Antwort zu erwarten gewesen. Eine Neuaustragung wäre der richtige Schritt gewesen. Es wäre dann auch ein befreiteres Spielen gewesen, weil alle gewusst hätten, dass es Eriksen schon wieder besser geht.
Martin Gebhart ist Ressortleiter der Chronik im KURIER.

Martin Gebhart.
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