PRO
Endlich wieder ein normales Leben führen können: abends mit Freunden ausgehen, ein Konzert oder ein Fußballspiel besuchen und spontan zu einem Wochenendtrip aufbrechen. Danach sehnt sich nach fast zwei Jahren Pandemie wohl jeder und jede.
Diese Sehnsucht nach Normalität ist neben der Angst vor der Krankheit wohl der Hauptgrund, warum sich viele Österreicherinnen und Österreicher bereits zweimal impfen ließen und eine Boosterimpfung zumindest planen. Verständlich, dass die Geimpften jetzt keine Lust haben, Rücksicht auf all die zu nehmen, die sich – warum auch immer – bis jetzt noch nicht immunisieren ließen.
Dennoch wird an einem Lockdown für alle früher oder später kein Weg vorbeiführen. Zum einen sind die Spitäler zumindest im Westen des Landes bereits überlastet, Operationen müssen vielerorts verschoben werden, neu Erkrankte und Menschen, die einen Unfall hatten, können kaum noch behandelt werden. Um die Situation nicht noch schlimmer werden zu lassen, hilft wohl nur noch, die Notbremse zu ziehen – und das heißt eben: Lockdown für alle.
Doch nicht nur die Spitäler verdienen unsere Aufmerksamkeit. In der öffentlichen Diskussion wird die Situation der Kinder allzu oft ausgeblendet. Für unter 12-Jährige ist die Impfung in Europa noch nicht offiziell zugelassen, und die Infektionen schnellen in dieser Altersgruppe an die Decke. Diese Kinder gilt es zu schützen, auch weil man nicht weiß, welche Folgewirkungen eine Infektion haben kann – Stichwort Long-Covid. Schulschließungen wären die einfachste Lösung, dürfen aber keine Option mehr sein. Stattdessen muss man jetzt die Inzidenzen in ihrem Umfeld senken, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren – und das geht nur über einen Lockdown für alle, der dann hoffentlich der letzte ist.
Ute Brühl schreibt im Ressort Lebensart – ihr Schwerpunkt ist Bildung.
CONTRA
in Teil der Bevölkerung hat sich einzementiert. Manche Geister können die eindeutige Botschaft, dass die Impfung der Schlüssel für eine „coole Zeit“ wäre, nicht adäquat interpretieren. Sinnerfassendes Lesen oder Hören ist ihnen fremd. Sie opfern aus Prinzip ihren Geschmacks- und Geruchssinn, oft auch mehr. Dass Ungeimpfte nun geisterhaft durch die Straßen streifen müssen, ausgeschlossen von Brot und Spielen, ist eine staatliche Erziehungsmaßnahme – haarig, aber wichtig. Sie muss wehtun, damit die Impfquote endlich steigt. Wäre dieses Szenario zu verhindern gewesen?
Ja. Die Regierung hätte im Spätsommer sanfte Zwänge setzen müssen, um die Impfung zu boosten: kostenpflichtige Tests für Ungeimpfte bei 3-G-Regel, vereinzelte Impfpflichten. Gekommen ist davon nichts, Expertisen zum Trotz.
Doch das verheerendste Signal, das die Politik eingedenk dieses Versagens setzen könnte: Nun auch Geimpfte abstrafen und einen Lockdown verordnen, der nicht differenziert.
Erstens: Geimpfte wären Ungeimpften in einer pandemischen Notlage erst wieder gleichgestellt, würden somit gleichsam als Verursacher gelten. Herbert Kickls fatale Rhetorik, dass die Impfung ohnehin nicht wirke, hätte sich durchgesetzt. Die Regierungslinie wäre gescheitert.
Zweitens: Geimpfte verstehen Solidarität. Sie haben zum Wohle der Allgemeinheit – bemühen wir Eso-Semantik – ihr „Ego“ überwunden. Diese Haltung darf nicht bestraft werden.
Drittens: Die Rechnung ist trivial. Alle geimpft: Die Pandemie wäre auf den Intensivstationen fast vorbei. Niemand geimpft: Hölle, Hölle, Hölle. Die Impfskeptiker haben Österreich mindestens zum Fegefeuer verdammt. Jetzt liegt es an ihnen, brav zu sein. Jetzt sollten sich die Geimpften einzementieren und postulieren: Liebe Schwurbler, es reicht!
Michael Hammerl schreibt für die Innenpolitik-Redaktion des KURIER.
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